Samstag, 16. Dezember 2017

Die christliche Religion der modernen Weltsicht anpassen?

In den 9 Reformthesen von "Christ in der Gegenwart" (44/2017) wird mal wieder die alte Leier von der Notwendigkeit, den "christlichen Glauben" der modernen Welt anzupassen, weil die "moderne Welterfahrung" damit nicht kompatibel sei, angestimmt. Originell ist das nicht, gehört das doch zum Standardprogramm des Modernismus. Der "Zusammenbruch mythologish-magischer Sichtweisen" wird da deklariert, um so die Forderung zu erheben, daß das Christentum auch zu entmythologisieren sei. Der protestantische Entmythologisierungsexperte Rudol Bultmann würde sich sicher über diese posthume Würdigung freuen, hätte er nicht auch die Vorstellung von einem Leben nach dem Tode entmythologisiert, sodaß er diese posthume Würdigung gar nicht mehr genießen kann, weil tot ist tot.
Aber sein Programm lebt noch. 
Nur, was ist denn von diesem  Popanz zu halten? Wenn der christliche Glaube war ist, warum sollte er dann einer modernen Weltsicht eingepaßt werden. Diese Einpassung wäre dann wohl ein Verlust an Wahrheit. Das wäre vergleichbar dem Phänomen, daß im Anfang des Rechenunterrichtes, die Schüler sollen das Subtrahieren erlernen, die Lehrerin die Schülerfrage, was den 2 weniger 3 sei, respondiert mit: "Das geht nicht!", weil sie die Tafelklässler nicht mit dem Rechnen mit negativen Zahlen überfordern will. Die negativen Zahlen, -1 als richtige Antwort, wird auf später verschoben. Die ganze Wahrheit wäre eben zu anspruchsvoll für den modernen Menschen.
Anders verhielte es sich, löste ich den christlichen Glauben in zwei Teile auf, den wahren Kern und drumherum zeitbedingte Vorstellungen. Dann hieße das Urteil, daß die christliche Religion ihre Wahrheit immer in zeitgeistbedingten Weltanschauungen ausdrücke und daß jetzt der wahre Kern in einer anderen, der modernen Weltanschauung neu ausgedrückt werden müsse.  Faktisch reduziert sich dieser Ansatz darauf, alle dem modernen Menschen Nichtbehagliche aus der Religion zu eliminßieren, um nur noch das ihm Zusagende zu behalten. Das heißt einfach: Die Kirche soll ihren Glauben marktgerecht produzieren und auf Unverkäufliches verzichten. (Das ist das Entmythologsierungsprogramm markwirtschaftlich begriffen.)
Aber was sollen wir uns den denken bei dem Begriff einer mythologisch-magischen Sichtweise ? Wie nun, wenn wir den Verdacht hegen, daß zum Wesen der Religion eine "mythologisch-magische Sichtweise" konstitutiv dazugehört? 
Fangen wir mal ganz langsam an und wenden uns der Idealwissenschaft der Moderne zu, der Mathematik. Nehmen wir ein simples Beispiel aus ihr. Wenn ich 1000 Euro auf meinem Konto habe, 1100 abhebe, wieviel muß ich einzahlen, um Null Geld auf dem Konto zu haben. 1000 - 1100 + x= 0. Zahle ich 100 Euro auf meine Konto ein, habe ich Null Euro auf dem Konto. Dies Problem kann ich im Rahmen der Mathematik nur lösen, wenn ich die Menge der Zahlen, in der diese Operation durchzuführen ist, so wähle, daß die Negativzahlen dazugehören. -100 verstehe ich dann als Schulden. 
Wenn ich gefragt werde: Der Verein X hat 1000 Mitglieder, 1100 sind ausgetreten, wieviel müssen eintreten, damit der Verein 0 Mitglieder hat, dann  ist diese Frage sinnlos, weil jetzt die Aussage 1000 - 1100 sinnwidrig ist. Es können nicht mehr austreten als es Mitglieder gibt, es kann so keine Negativmitglieder geben, also darf ich hier nur mit positiven Zahlen operieren. 
Also, je nachdem wähle ich eine bestimmte Zahlenmenge, in der ich dann die Operationen durchführen möchte.   
Nun kann ich, je nachdem welches Problem ich lösen möchte, die Menge der Elemente wählen, mit deren Hilfe ich das Problem lösen will. Frage ich mich zum Beispiel: Wie sollte ich jetzt den Bauern in diesem Schachspiel, das ich gerade spiele, setzen?, dann ist es sinnlos in einem Fachbuch über Agrarwissenschaften nachzuschlagen und auch ist es nicht sinnvoll, im Katholischen Katechismus nachzulesen. Ich werde die Lösung also nur finden, wenn ich frage: Welche Züge sind im Rahmen des Schachspieles erlaubte, mögliche Züge, (das ist die Summe aller möglichen Elemente) um dann den sinnvollsten Zug zu suchen und das ist der, der mich dem Endziel einer jeden Schachpartie, den anderen König Schachmatt zu setzen näher bringt.  
Es gibt also Probleme und ich wähle dann die Weltsicht oder eine Teilwelt (als Summe aller möglichen Elemente zur Lösung des Problemes), in der ich das Problem adäquat lösen kann. 
Ist nun die moderne Weltsicht eine mögliche, um bestimmte Probleme zu lösen, und gibt es daneben auch noch andere Weltsichten, die eben nützlich sind zur Lösung von Problemen, wozu die moderne Weltsicht nicht adäquat ist. Dann nähme man ein rein ideologisches Verhältnis zur modernen Weltsicht ein, deklarierte man das moderne Weltbild als das einzig legitime. Das wäre so, als erklärte der Mathematikdozent, daß es für das Problem: Was ist 1 geteilt durch  3 keine legitime Antwort gäbe, da es keine Dezimalzahl gäbe, die mit 3 multipliziert 1 ergäbe und Eindrittel als richtige Antwort er a priori ausgeschlossen hat. 
Nun gibt es Phänome, wie das, daß Gebete erhört werden, die nur adäquat begriffen werden können, wenn man in der Summe aller möglichen Elemente, die man wählt, um dies Phänomen zu erklären, auch Gott zuläßt als in der Welt handelndes Subjekt.
Frägt man mich, ob Bayern München auch dieses Jahr Fußballmeister werden wird, dann urteile ich: mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit: Ja. Für diese Prognostik brauche ich nicht Gott als mögliches Handlungssubjekt zur Beantwortung dieser Frage in Betracht zu ziehen.
Frägt man mich aber, warum Kaiser Konstantin das Christentum faktisch schon zur Staatsreligion erhob, dann verweise ich auf den Kirchenhistoriker Eusebius von Caesarea und seine Darstellung dieses Ereignisses und urteile, daß ohne das mögliche Element, daß auch Gott ein in der Geschichte handeln könnendes Subjekt ist, dies Ereignis weniger gut als mit es zu erklären ist.   Wenn nun andere urteilen, daß auch dies Ereignis ohne das mögliche Element: Gott ist als in der Geschichte handeln könnendes Subjekt anzusehen, dann stoßen wir auf das allgemein bekannte Phänomen, das Probleme in verschiedenen Wissenschaften anders gelöst werden. So wird die Soziologie das Phänomen des Alkoholismus anders betrachten als etwa die Psychologie. Je, welche Vorstellungsmenge ich wähle, (das System der Soziologie mit seinen Elementen und Regeln oder das der Psychologie), komme ich zu einer anderen Wahrnehmung des Problemes.
Und so ist die "mythologisch-magische Sichtweise" eben immer auch eine mögliche neben anderen. Frage ich zum Beispiel nach dem Anfang der Menschheitsgeschichte, daß es überhaupt eine gibt und es nicht nur eine Naturgeschichte gibt, der dann der Mensch einzuordnen ist, dann kann dieser Anfang nur ein vorgeschichtlicher sein, denn der Anfang kann nicht das voraussetzen, was es erst das Produkt dieses Anfanges ist. Nur der Mythos kann so erzählen, wie es überhaupt zu dem Phänomen, daß es eine Menschheitsgeschichte gibt, erklären. Das leistet die christliche Religion durch die mythologische Erzählung vom Sündenfall. Dieser Ursprung der Geschichte des Menschen kann nun selbst nicht die Geschichtswissenschaft zu ihrem Gegenstand haben, denn sie setzt immer schon das voraus, daß es Geschichte gibt. 
(Vgl hierzu auch Hegels Interpretation vom Sündenfall und Schellings These von der Urtat des Menschen in seiner Freiheitsschrift; diese 2 Belege um zu zeigen, daß diese These auf der Höhe modernen Philosophierens sich befindet!) Ohne einen Mythos können wir das Daß der Geschichte des Menschen nicht denken; es gäbe nur eine Naturgeschichte.
Und wenn man den Begriff des Magischen nicht eng faßt, wird man keine religiöse Praxis ohne eine magische Weltsicht verstehen können, wenn unter dem religiösen Kult verstanden wird, daß Gott oder Götter menschliches Tuen zum Anlaß nehmen, ihr Tuen zu verändern im Sinne der so agierenden Menschen. Kant verurteilt in seiner Schrift über die Religion in den Grenzen der bloßen Vernunft jeden religiösen Kult als "Afterdienst", als magische Praxis und zerstört so jede Religion, indem er sie auflöst in praktiziertem Humanismus. Das ist der Tod jeder Religion.  
Aber es gibt kein zwingendes Argument,Gott als Gebete und Opfer erhören könnendes Subjekt aus jeder Weltsicht als Element, die das Anliegen hat, auch die Religionen als Problem wahrnehmend zu begreifen, auszuschließen.
Anbei: Daß es das Es, das Ich und das Überich gibt, ist wissenschaftlich unbeweisbar, aber es gibt die Psychologie, die auf Freud aufbauend viele Probleme löst, indem sie sie mit diesen 3 Instanzen erklärt. Es wäre nun ein Verlust für die Wissenschaft, schlösse man diese 3 Elemente zur Erklärung von bestimmten Problemen aus, bloß weil diese 3 Größen empirisch nicht nachgewiesen werden können.   
These: Die moderne Weltsicht wird nur dann der christlichen Religion zum Problem, wenn sie sich als einzig legitime versteht, sie also zu einer doktrinären Ideologie wird! 
Realiter ist sie eine mögliche von vielen und es ist kein Problem, daß je nach Problem die oder eine andere Weltsicht gewählt wird, um etwas zu begreifen.
Eine mythologisch-magische kann dann neben der modernen existieren, wie die Soziologie neben der Psychologie existiert oder wie bestimmte Probleme nur in der Menge der positiven Zahlen und andere nur in der Menge einschließlich der negativen  oder gar der imaginären Zahlen gelöst werden können. Es gibt aber immer nur Lösungen für Probleme in einer bestimmten gewählten Welt- oder Teilweltansicht, wie man auch keine mathematische Rechenoperation ohne eine dazu gewählte Zahlenmenge durchführen kann.    

Zusatz 1:
So gibt es auch keinen zwingenden Grund, etwa a priori in der Betrachtung der Menschheitgeschichte- man denke an die Sudien von Erich von Däniken oder von Armin Risi, auszuschließen, daß Außerirdsche oder übernatürliche Kräfte in dieser Geschichte mitgewirkt haben könnten. Es müßte sich nur zeigen lassen, daß mit der Zulassung solcher Subjekte als in der Geschichte möglicherweise Agierende bestimmte Ereignisse besser als ohne diese erklärbar sind.  
Und in der Alltagspraxis: Wer liest nicht etwa Edgar Allen Poe, Lovecraft und Stephen King, um zumindestens während des Lesens Übernatürliches als möglich Reales zu akzeptieren! Oder man denke an ein Meisterwerk deutscher Romantik: E.T. A. Hoffmanns Elixiere des Teufels!  Sollte man all das der modernen Weltsicht opfern?  

Zusatz 2:
Als kleine Laudatio auf den genialen Schriftsteller Lovecraft lasse ich ihn hier selbst zu Wort kommen:


Die größte Gnade auf dieser Welt ist, so scheint es mir, das Nichtvermögen des menschlichen Geistes, all ihre inneren Geschehnisse miteinander in Verbindung zu bringen. Wir leben auf einem friedlichen Eiland des Unwissens inmitten schwarzer Meere der Unendlichkeit, und es ist uns nicht bestimmt, diese zu bereisen. Die Wissenschaften - deren jede in eine eigene Richtung zielt - haben uns bis jetzt wenig bekümmert: aber eines Tages wird das Zusammenfügen der einzelnen Erkenntnisse so erschreckende Aspekte der Wirklichkeit eröffnen, daß wir durch diese Enthüllung entweder dem Wahnsinn verfallen oder aus dem tödlichen Licht in den Frieden und die Sicherheit eines neuen, dunklen Zeitalters fliehen werden.“1



1Lovecraft H.P., Cthulhus Ruf. In: Lovecraft, H.P., Cthulhu Geistergeschichten, Deutsch von H.C. Artmann, 1972, S. 193.

Zusatz 3
Die apollinische Weltsicht mag das Dionysische als Folge  mangelndem Aufklärungslichtes entzaubern wollen, aber es könnte uns auch das lange Starren in die Sonne blind gemacht haben für das Dionysische! (Frei nach Nietzsche)


    
     

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