Donnerstag, 2. November 2017

Gewissensfreiheit - Problemlos?

Wenn mein Gewissen die oberste Norm für mein Tun und mein Nichttun ist, wie ist dann noch es möglich, eine totale Anarchie zu verhindern, daß jeder nur noch macht, was ihm gefällt? 
1. Die erste Möglichkeit ist, daß es für jeden Staatsbürger Gesetze gibt, an die er sich zu halten hat, auch wenn sie mit seinem Gewissen nicht in Einklang sich befinden. Zu unterscheiden wäre dabei zwischen Gesetzen, die etwas gebieten oder etwas verbieten. So könnte geurteilt werden, daß die Gewissensfreiheit es jedem erlaubt, eine staatlich vorgeschriebene Handlung nicht zu vollziehen, wenn sie gegen sein individuelles Gewissen  verstößt. Wenn in einem Staate die Homoehe erlaubt ist, hieße das etwa, daß ein Christ, der Standesbeamter ist, sich weigern dürfte, an ihrer Schließung amtlich sich zu beteiligen. Wenn dagegen die Homoehe nicht erlaubt ist in einem Staate, dann darf ein Standesbeamter diese "Ehe" nicht schließen, auch wenn er diese "Ehe" von seinem Gewissen her als gut beurteilt. So wäre dann die Gewissensfreiheit reduziert auf das Recht, vorgeschriebene Handlungen nicht vollziehen zu brauchen, wenn das dem individuellen Gewissen widerspricht.
Aber was hätte das dann für Folgen! Was, wenn ein  Staatsbürger aus religiösen Motiven sich weigerte, Steuern zu zahlen, etwa weil er nur eine Theokratie als Staatsform bejahen könne und so jedem säkularen Staat die Steuern verweigern müsse? Das wäre der Ruin des Staatswesens, wenn es so in die Beliebigkeit der Bürger fiele, ob sie Steuern zahlen bräuchten oder nicht. Offenkundig muß hier der Staat das Recht haben, Menschen zum Steuerzahlen zwingen zu dürfen. Also darf der Staat einen Staatsbürger doch dazu zwingen, gegen sein Gewissen zu handeln.
Er kann aber darauf verzichten, wenn die tolerierte Abweichung im Namen des Gewissens zu keiner Schädigung des Allgemeinwohles führt.  
2. Es gibt keine für jeden Katholiken verbindliche Morallehre der Kirche.Darf nun der Einzelchrist sich von Einzelbestimmungen distanzieren, das gelte nicht für mich, denn mein Gewissen sagt mir, daß mir das erlaubt ist, was die Kirche verbietet? Nehmen wir Extreme: Was wäre passiert, wenn die Kinder Adam und Evas sich an das Inzestverbot gehalten hätten? Die Menschheit wäre mit dem Tode der Kinder Evas ausgestorben. Oder soll man urteilen, daß Gott erst später- wann dann?- den Inzest als Sünde verboten hat? Durften die Kinder Evas das, was sie taten, um so das menschliche Leben zu prolongieren? 
Mit dieser Frage eröffnet sich uns ein neuer Horizont, daß eben die katholische Morallehre in sich selbst hierarchisch aufgebaut ist, das heißt, daß es Grundgesetze gibt, die als Norm für die Auslegung ihnen subordinierter Gesetze fungieren. In dem Falle des Inzestes: Wenn das menschliche Überleben nur durch einen Inzest ermöglichbar ist, dann muß dieser als erlaubt gelten. Phantasieren wir einen Atomkrieg, ein Geschwisterpaar überlebt und kann nicht feststellen, ob andere Mitmenschen diesen Atomkrieg auch überebt haben. Da sie nicht auschließen können, daß sie die einzig Überlebenden sind, dürfte ihnen ein Inzest nicht als Sünde angerechnet werden, da sie davon ausgehen müssen. daß es von ihnen abhängt, daß die Menschheit nicht ausstirbt.
Ist also zu urteilen, daß im Regelfall der Katholik sich nicht im Namen des Gewissens von der Morallehre der Kirche auch nur punktuell freisprechen kann, so kann es doch Einzelfälle geben, in denen dies erlaubt ist. 
Ein allseits bekannter Fall ist der heilig gesprochene Maximilian Kolbe. Indem er sagte: "Tötet mich und verschont dafür den, den ihr töten wollt", verstieß er gegen die Verurteilung des Freitodes durch die Morallehre der Kirche. Weil der Mensch sein Leben von Gott nur ausgeliehen bekommen habe, Gott aber der Herr über das Leben bliebe, darf der Mensch nicht selbt über sein Lebensende entscheiden. Das tat aber Kolbe, indem er sich freiwillig töten ließ. Nun gilt, daß  eine an sich böse Tat, wie der Freitod es ist, durch keine noch so gute Absicht, in diesem Falle, das Leben eines Unschuldigen zu retten, gerechtfertigt werden kann.  Und doch sprach die Kirche Kolbe heilig, weil er sein Leben aufopferte, um das eines anderen Menschen zu retten. Offenkundig setzte hier der "Grundwert" des Opfers das Gebot des Sich-nicht-sebst-Töten-Dürfens außer Kraft. Käme dem Grundwert des Opfers nicht eine höhere Stufe in der Hierarchie der Moralgesetze zu als dem Gebot des Nicht-Sich-Töten-Dürfens, dann müßte man ja selbst das Opfer Christi als Sünde ansehen, weil er freiwillig sein Leben am Kreuzaltar aufopferte, um die Vielen zu retten. Auch der Gehorsam seinem göttlichen Vater gegenüber zwang ihn ja nicht zum Selbstopfer?
Wäre damit nun doch der Anarchie in der Morallehre Tor und Tür weit geöffnet? Aber, wer würde sagen, daß die Straßenverkehsordnung außer Kraft gesetzt wird, bloß weil ein Sanka, wenn er einen Schwerverletzten ins nächste Spital fährt, Geschwindigkeitsbeschränkungsgebote, überfahren darf, um schnellst möglich den Veretzten in das Spital zu bringen? 
Ein Katholik kann so bestimmte Moralgesetze für sich punktuell außer Kraft setzten um höheren Werten der Morallehre genüge zu tuen. Wer nur das Leben Unschuldiger retten kann, indem er sich tötet, der darf in so einem Falle den Freitod als Opfer vollziehen.
3. Es bleibt aber das Unbehagen, daß mit der Gewissensfreiheit etwas in die Welt der Moral freigesetzt wurde, das sie droht, aufzulösen. Die Lage gleicht einem Schwellbrand in einem Heuhaufen. denn man nun schwerlich noch unter Kontrolle bekommt. Die süße Anarchie lockt, daß jeder tuen darf, wonach ihm gelüstet. Es ist so das große Verdienst von Marquis de Sade, in seinen Romanen uns die Wirklichkeit der Anarchie vor Augen zu halten, wie es sein würde, lebten wir wirklich gesetzlos frei anarchisch! Gibt es einen realistischeren Romanautoren als ihn?             
     

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