Montag, 25. Juli 2016

Negativkarriere- oder durch Gewalt zum Erfolg

Einst übersetzte Schüler in den Anfangsstunden des Lateinunterrichtes noch solche Sätze: Den fleißigen Schüler lobt der Lehrer, den faulen tadelt er. Fleiß wurde belohnt, Faulheit kritisiert. Was für reaktionäre Zeiten waren das doch. Jetzt ist ein "fauler Schüler" ein pädagogisches Problem: Warum gelingt es dem Lehrer nicht, ihn zu motivieren? Was sind die Gründe seiner scheinbaren "Faulheit"? Hat er evtl psychische Probleme, liegen dem familieinterne Probleme zu Grunde? Der "Faule" gerät so in das Aufmerksamkeitszentrum- er wird zu einer pädagogischen Causa. 
1.These: In einer Massengesellschaft ist die Grundbeziehung der Menschen untereinander die der Gleichgültigkeit. Nur wenigen wird von ihren Mitmenschen Aufmerksamkeit geschenkt. "Wie schaffe ich es, daß ich bemerkt werde?" Für Frauen lautet die klassische Antwort: durch Attraktivität. Männer bevorzugen traditionell es, sich durch Leistung und Erfolg die Aufmerksamkeit anderer zu erwirken. Die "Negativkarriere" ist nun ein Alternativkonzept zu diesen beiden traditionellen Wegen: Wie schaffe ich es, daß man auf mich achtet? In der Welt der Massenmedien ist es für jedermann viel leichter, durch ein Negativverhalten in das öffentliche Aufmerksamkeitszentrum zu avancieren als durch Fleiß, gutes Benehmen usw. 
Erlernt wird dies Verhaltensrepertoire oft schon im Kindergarten: Um die ruhigen und braven Kinder kümmert sich die Erzieherin kaum, weil sie stets pädagogisch auf die "Störer" einzuwirken hat. "Ich störe, also stehe ich im Mittelpunkt!" In einer Medienwelt, in der nur schlechte Nachrichten gute sind und die schrecklichsten die besten, da ist es eben klar, daß der sicherste Weg zur Karriere in den Medien ein extremes Negativtun ist. Je mehr Menschen ich aufs bestialischte töte, desto sicher stehe ich in allen Medien auf der Titelseite. Und die "Fleißigen" und "Braven"- sie schaffen es nicht mal zu einem Nebensatz auf der letzten Zeitungsseite!
Der postmoderne Terrorist ist so gesehen nicht nur ein uns vormodern vorkommender Mensch, weil er fanatisch religiös ist und jeder religiöse Fanatismus uns als mittelalterlich erscheint, sondern er ist vielmehr ein ganz und gar postmoderner Mensch. In einer Welt der Gleichgültigkeit aller Menschen, in der eben niemand mehr wegen seines Standes, seiner Geburt, seiner Religion oder was auch immer sich von anderen positiv abheben kann: Ich bin mehr als Du!, da wird die Frage: Wie kann ich zu einem außergewöhnlichen Menschen werden, virulent. (R. Musil thematisiert dies in den drei Versuchen Ulrichs, "ein bedeutender Mann zu werden". (Der Mann ohne Eigenshaften, erstes Buch, Kapitel 9-13.)
Der Existenzentwurf des Terroristen ist darauf eine Antwort: im Augenblick des Sichzerstörens so viele andere Menschen zu töten wie möglich, wissend so zum bedeutenden Menschen zu werden. Kommt dann noch die religiöse Verheißung der Ehrung dieser Tat durch Gott dazu: Weil Du Ungläubige töteste, wirst Du eingehen in das Paradies als Märtyrer, sehen wir, wie sehr dies Konzept eine Antwort ist auf die existentielle Sorge des potmodernen Menschen: Wie schaffe ich in der Welt der Egalität und Vergleichgültigung noch, etwas wirklich Besonderes zu sein! Durch eine Tat katapultiert sich der heilige Krieger nicht nur in den islamischen Himmel sondern zuvörderst wird er zum Medienstar!  Aus Menschen, die eben noch ein gleichgültiges Leben führten, die leben und sterben, ohne daß es wer zur Kenntnis nimmt, wird durch eine Tat ein Star. Plötzlich ist nichts mehr in seinem bisherigen Leben bedeutunglos, denn nun wird in den kleinsten Ereignissen nach Spuren gesucht, die ihn diese Tat tuen ließen: alles bekommt Gewicht und Bedeutung. 
2. These: Der heutige Terrorismus muß als ein Ereignis in der Postmoderne begriffen werden, sonst wird dies Phänomen verkannt. Postmoderne heißt dabei immer auch, daß die christliche Religion nicht mehr das Fundament der westlichen Kultur bildet, und daß die bürgerliche Wertordnung als Überrest des einstigen christlichen Abendlandes selbst sich schon so sehr zersetzt hat, daß wir immer auch im Schatten des Nihilismus leben. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Nihilismus und dem Terrorismus (vgl Dostojewski: Die Daimonen), und einem postmodernen religiösen Fanatismus, der in sich noch Spurn des westeuropäschen Nihilismus  trägt. (Vgl das Phänomen des religiös Indifferenten, an nichts wirklich Glaubenden, der sich urplötzlich radicalisiert und zum religiösen Selbstmordattentäter wird). 
3.These Aufgeklärte Menschen kennen nur noch den homo oeconomius; deshalb sind ihnen alle Fanatismen unbegreiflich und können nur etwas Irrationales oder Krankes sein. Wie nun aber, wenn der Mensch nicht nur ein homo oeconomicus ist? Könnten wir uns etwa von einem so abgründigen Philosophen und Schriftsteller wie George Bataille belehren lassen, daß der Mensch auch einer sein kann, dessen größte Lust im sich Verzehren und rauschhaftem Sichauflösen besteht?
Diese drei Thesen sind selbstverständlch nur fragmentarische Vorüberlegugen zum Thema: Terrorismus in der Postmoderne.           

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