Mittwoch, 15. Juli 2015

Lesefrüchte- der nichtdomestizierte Gott

Wenn Gott ist, dann soll er so sein, wie wir uns ihn wünschen, das ist subkutan einer der stärksten Antriebe der Gotteslehren, die uns einen neuen, zeitgemäßen verkünden wollen. Eine der brillantesten Versuche, nicht einen Gott nach unserem Gustus zu kreieren, sondern Gott zu denken, wie er ist, präsentiert Occam (Ockham), indem er in radicaler Konsequenz Gott als Selbstbestimmung denkt. K. Kunze referiert das Anliegen dieses leider so oft geschmähten Theologen, er denke Gott, bzw. die Freiheit als Willkürfreiheit, so treffend, daß ich es den Lesern nicht vorenthalten möchte:
"Gottes Wesen sei sein allmächtiger Wille. Dieser sei die letzte Ursache der normativen Schöpfungsordnung. Alles Gute und Böse sei ein beliebiges Produkt göttlicher Willkür! Damit wandte Ockham sich ab von Platon und Thomas: Dieser hatte Gott für die unwandelbare Idee des Guten selbst erklärt und damit seine Allmacht verkürzt: Gottes Willen steckte damit im Käfig einer idealen Vernunftidee, über die selbst Gott sich nicht hinwegsetzen konnte. Gottes innerstes Wesen sei die berechenbare Vernunft. Nein, widersprach ihm Duns: Sein Wesen sei die Liebe: Sie beruht auf einem nicht rational ableitbaren, also freien Willensakt. Schließlich befreite Ockham Gottes Willen endgültig und setzte ihn über alles Gut und Böse: Es gebe kein Gut und Böse aus der Natur der Sache selbst und keine vorwillkürliche, vernünftigem Kalkül zugängliche Bewertung in Gut und Böse. Gott selbst sei es, der Gut und Böse willkürlich aus dem normativen Nichts erzeuge."  (Klaus Kunze, Mut zur Freiheit-Ruf zur Ordnung. Politische Philosophie auf dem schmalen Grad zwischen Fundamentalismus und Nihilismus, 1995, S.13.)
Daß Gott die Idee des Guten sei, wird so von Ockham theologisch rekonstruiert zu der Aussage, daß Gott das Subjekt ist, das die Idee des Guten setzt und da es vor (im logischen Sinne)  der Setzung der Differenz von Gut und Böse weder das Gute noch das Böse gab, setzt Gott diese Differenz vollkommen frei. Denn sonst müßte es das Gute und das Böse unabhängig von Gottes Willen geben- das gibt es aber nur im Menschen, in seinem Gewissen, dem Ort, in der die Differenz von Gut und Böse eingeschrieben ist. Gott kann aber nicht mit einem eingeschriebenen Gewissen ausgestattet gedacht werden. Auch erkennt Gott das Gute und das Böse nicht als etwas ihm Vorgegebenes, sondern er setzt diese Ordnung ja  selbst erst, die er dann als die seinige auch erkennt. 
Was ist damit gewonnen? Gott wird so gedacht als das Subjekt reiner Selbstbestimmung und so wird Gott erst als nicht kreatürliches Sein gedacht, dem alles Sichbestimmen ein Bestimmtsein vorausgeht, und das ist sein Geschaffensein. Da nun aber alles von Gott Geschaffene gemäß der Differenz von Gut und Böse geschaffen ist, kann in dieser von Gott geschaffenen Welt das Gute und das Böse auch erkannt werden. 
Ist Gott nun so zu denken, daß er sich selbst an seine Ordnung so gebunden hat, daß er immer gemäß ihr wirkt? Oder steht er souverän über dieser Ordnung? Damit stehen wir vor dem Problem des Wunders! Und damit ist die Antwort eindeutig: Gott hat die Naturordnung gesetzt, er kann sie aber auch unterbrechen und unmittelbar in ihr wirken. Gottes Güte und Treue ist es nun, daß Gott seine Ordnung von Gut und Böse einhellt, obwohl er auch anders handeln könnte. Wäre nämlich von Gott auszusagen, daß er gar nicht anders kann als immer nur das Gute zu wollen und das Böse nicht zu wollen, dann wäre Gott nicht mehr moralisch qualifizierbar. Denn nur dann, wenn der Wille  freiwillig gut will, das heißt, daß er  auch böse wollen könnte, ist das das Gute Wollen ein moralisch qualifiziertes Wollen- sonst funktinonierte Gott nur wie ein perfektes Computerprogramm, das nie einen Fehler macht.
Und somit bekommt dem Gebet eine besondere Bedeutung zu: Gott, sei uns gut, ist eben ein  wirkliches Gebet, weil es weiß, daß Gott nicht von Natur aus anders kann als uns gut zu sein, weil er nur das Gutsein ist.  
Die Domestikation hebt dagegen damit an, Gott eine ihm vorgegebene Natur beizugeben, sodaß er nicht anders kann als gemäß dieser Natur. Dem entspricht die Idee einer Verfassung, die dem König vorausgeht, sodaß der einstige Souverän nur noch im Rahmen der Verfassung regieren darf.Die Souveränität des Königs wird dabei durch die Verfassung eingeschränkt, wie Gottes Souveränität eingeschränkt wird durch die Vorgabe "seiner" Natur des Guten, daß er dann nur gemäß der Idee des Guten regieren kann.

Corollarium 1
Wenn jede Bestimmung Gottes ein Ausschluß von Etwas ist, wenn er A ist, ist er nicht -A, dann ist jede Bestimmung eine Verendlichung Gottes. Das ist das relative Recht jeder Gotteslehre, die Gott nur verneinend versucht zu erfassen. Wenn Gott aber als sich selbst bestimmend gedacht wird, dann ist sein Bestimmtsein Produkt göttlicher Selbstbegrenzung- er will der Gott Israels sein und ist so nicht der Gott aller Völker, wie er Gott Israels ist. Indem Gott sich so auch als sich bestimmt Habender erkennt, wird er sich selbst zum Erkenntnisobjekt und das ist die Voraussetzung dafür, daß er Anderen an seiner Selbsterkenntnis Anteil geben kann. Weil Gott sich selbst Erkenntnisobjekt ist, kann er auch ein Erkenntnisobjekt für Andere werden. Gott vermittelt dann seine Selbsterkenntnis und das ist der Kern der wahren Religion.  .

Corrollarium 2
Wissenschaft und Theologie: wenn Gott als das Vollkommene so zu denken wäre, daß aus ihm als dem obersten Prinzip alles weitere deduzierbar wäre, weil Gott vollkommen ist, dann müßte er sich so zu sich und so zu anderem verhalten, wobei das Andere, die Setzung der Schöpfung selbst noch eine Notwendigkeit wäre, die sich aus dem Vollkommensein Gottes ergäbe, dann wäre, alles, was ist, so wie es ist, aus dem einen Prinzip deduzierbar. Wenn die so deduzierte Wirklichkeit mit der uns zugänglichen identisch wäre, wäre dies der Beweis für die Deduktion, daß Gott so ist. Zwingli versuchte das in seinem Sermon über die Vorsehung Gottes-sein philosophischtes Werk. Anselm von Canterbury versucht dies punktueller in seiner Beantwortung der Frage: Warum Gott Mensch wurde?, indem er deduziert, daß Gott nur durch ein Sühnopfer eines Gottmenschen wieder versöhnt werden könne und daß dann das historische Ereignis genau der Deduktion entspricht. Wenn aus Gott als dem ersten Prinzip alles, was ist deduzierbar wäre, weil   Gott als Vollkommemheit nur so und nicht anders wirken kann, und wenn das Deduzierte dann der Realität entspricht, dann wäre die Wahrheit der Theologie erwiesen. Nur, wenn Ockham recht hat, dann ist Gott so als Freiheit zu denken, daß das, was und wie es ist, nicht aus ihm, weil er ist, wie er ist, deduzierbar. Das ist der Stachel Ockhams im Fleische der theologischen Wissenschaft.                              

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