Samstag, 28. März 2015

Blasphemie- etwas Vorgestriges?

Wer meint, daß Blasphemie zu allen Zeiten ein und dasselbe meine und so auch zu allen Zeiten gleich zu beurteilen sei, der irrt sich. Begriffe sind in sich nicht so eindeutig, daß es eine strenge ewig gültige Relation zwischen dem Begriff und dem dadurch Begriffenem gäbe. Wer die aktuelle Debatte um die Diskussion um Meinungsfreiheit, Freiheit der Kunst und seine Grenzen auch nur oberflächlich mitliest, dem muß eines auffallen. Hier taucht der Begriff der Blasphemie wieder auf, er revitalisiert sich als Grenzbegriff: soweit, aber nicht weiter darf die Meinungsfreiheit gehen. Eine blasphemische Meinungsäußerung überschreite die Grenzen des Erlaubten, ja sie sei eine Äußerung außerhalb dessen, was im Raume der Meinungsfreiheit bejaht werden kann. Satire dürfe zwar Alles, zitiert man gerne, aber es müsse doch Grenzen geben. Nur, wo wer wie diese Grenzen zu ziehen hat, das ist umstritten. 
Und da muß man als Katholik sofort eine Gefahr wittern.Es mag zwar einen rein wissenschaftlichen Diskurs -idealtypisch- nur auf die besseren Argumente hörend- in der reinen Theorie geben. Im realen Leben ist das aber mehr eine Machtfrage. Macht hat, wer seine Definition von erlaubten und unerlaubten Meinungsäußerungen in der Öffentlichkeit durchsetzen kann und um die Macht der Katholischen Kirche als Durchsetzungskraft, erlaubt von unerlaubt zu unterscheiden, steht es nicht gut bestellt. Wer also blasphenische Äußerungen strafrechtlich unterbunden sehen möchte, und auch bestraft, darf sich nicht wundern, daß eine Verschärfung des Strafrechtes in dieser Causa dem Islam und dem Judentum zu gute käme, aber die christliche Religion weiterhin als vogelfrei gilt! 
Aber das ist jetzt zu schnell gedacht. Beginnen wir ab ovo. Der Begriff der Blasphemie ist nämlich ein sehr voraussetzungsvoller Begriff voller metaphysischer Heimtücke. Präsumiert ist diesem Begriff ein ganzer Vorstellungskomplex, dessen Grundelemente sind, daß es Götter oder einen Gott gibt, der die oder der Geber aller guten Güter sind oder ist. (Zur sprachlichen Vereinfachung benutze ich jetzt immer den Singular, aber der Plural ist mitzudenken, denn der Monotheismus ist ja keine religiöse Selbstverständlichkeit-es gibt auch polytheistische Religionen. Es ist wahrlich keine unerlaubte Frage, ob etwa dem Dichterfürsten Goethe der griechische Polytheismus nicht näher stand als der christliche Monotheismus!)  Zu diesem Vorstellungskomplex gehört dann unbedingt die Vorstellung, daß Gott nicht selbstverständlich das für die Menschen Gute und Notwendige gibt, sondern daß Gottes Geben des Guten und Notwendigen Gott abhängig macht vom Verhalten der Menschen zu ihm. Hier ist dann das individuell private vom öffentlichen Verhalten Gott gegenüber zu unterscheiden. Gott unterhält nicht nur reine Privatbeziehungen in der Struktur von Ich und Du, sondern "kollektive" zu sozialen Gemeinschaften, wie einer Stadt, einem Land, einem Volk. Und so gibt es nicht nur Privatsünden sondern auch öffentliche. Dem korreliert, daß Gott vorgestellt wird als Gott, der den Einzelnen belohnt oder bestraft hier oder im Jenseits und auch Kollektive belohnt oder bestraft. So gilt für das religiöse Denken als Selbstverständlichkeit, daß das Wohlergehen einer sozialen Gemeinschaft, angefangen von der Familie über eine Stadt bis zu einem in einem Staat sich organisierendem Volksleben, direkt abhängig ist von der rechten Gottesverehrung dieses sozialen Gemeinwesens. Und darum und nur darum gehört die Sorge um die rechte Gottesverehrung zu den Primäraufgaben jedes Staates! Wenn Kaiser Konstantin das Christentum zur bejahten Religion im Römischen Staate machte, dann gerade nicht primär aus seiner Privatfrömmigkeit heraus, sondern weil er glaubte, daß die Verehrung des wahren Gottes, die öffentliche die unbedingt notwendige Voraussetzung für das Gemeinwohl des Römischen Staates ist. Dem Gott, dem er seinen militärischen Sieg verdankte, kann er als Kaiser auf keinem Falle nach diesem Machterweis dieses Gottes öffentlich unverehrt lassen. Unverehrt wäre die Vorstufe einer Blasphemie, daß der Gott nun öffentlich verachtet wird durch Wort-und Tathandlungen! Und was ist das Gefährliche der Blasphemie? Daß Gott, erzürnt über blasphemische Taten statt das Gute und Notwendige zu gewähren, seinen Zorn über die Sozialgemeinschaft ausschüttet. Der Öffentlichkeit der blasphemischen Handlung in Wort und Tat entspricht der göttliche Zorn, der dann die ganze Gemeinschaft trifft, weil dies Vergehen öffentlich praktiziert wurde von Tätern und anderen, die diese Tat zulassen. Man muß hier P. Sloterdijk unbedingt zustimmen, wenn er urteilt: "Man hat in unseren religös neu- analphabetischen Jahrzehnten so gut wie ganz vergessen, daß die Rede von Gott im Monotheismus immer auch einen zornigen Gott einschloß." (Sloterdijk, Zorn und Zeit, 2008, S.73) Die Blasphemie ist also eine Handlung, die das Gemeinwohl einer Sozialgemeinschaft aufs höchste gefährdet, weil das Wohlergehen dieser Gemeinschaft abhängig ist davon, daß der wahre Gott oder die wahren Götter angemessen verehrt werden und daß eine Beleidigung Gottes nicht zugelassen wird! Es geht so nicht um das Privatheil des Blaspemikers, sondern um die Gefährdung der Wohlfahrt der Sozialgemeinschaft durch das Dulden von Balsphemien! Unter diesen Voraussetzungen erhält erst der Begriff der Blasphemie seine Bedeutung und es wird klar, warum es die Aufgabe des Staates ist, gegen Blasphemisches vorzugehen. Der Staat tut dies nicht aus Liebe zu seinen religiösen Staatsbürgern sondern um seiner eigensten Aufgabe, der der Sorge um das Gemeinwohls willen! 
Diese Vorstellung von Blaspemie ist uns völlig abhanden gekommen. Das geschah nicht zufällig und war auch nicht das Ergebnis einer vertieften Gotteserkenntnis-sondern war eine Konsequenz aus dem innerchristlichen Religionskrieg des 17. Jahrhundertes. Wenn die christlichen "Konfessionskirchen" sich wechselseitig Blasphemie vorwarfen, dann wurde der Bürgerkrieg unvermeidbar nach der Abspaltung der Reformations"kirchen" von der Katholischen Kirche. Das Neue der aufgeklärten christlichen Religion war nun, daß man Blasphemie nur noch als Privatsünde ansah ohne Folgen für die Sozialgemeinschaft oder daß man die wahre Religion auf ganz wenige vernünftige Basissätze reduzierte, daß Gott, Freiheit und Unsterblichkeit der Seele ist (Kant) und daß alle anderen "Glaubensaussagen" für das Seelenheil wie für die öffentliche Wohlfahrt irrelevant sind. Ab jetzt verliert der Begriff der Blasphemie seine Ursprungsbedeutung, indem er privatisiert wird. Der Blaspemiker kann höchstens noch sein eigenes Seelenheil dadurch gefährden. Für das Gemeinwohl ist sein Tun irrelevant. Das konnte nur so sich vorgestellt werden, weil sich nun auch die Gottesvorstellung änderte. Der aufgeklärte Gott wurde ein toleranter Gott, einem dem Blasphemien ihm gegenüber gleichgültig waren- er gibt das Gute und Notwendige unabhängig davon, ob er angemessen oder auch nicht angemessen verehrt wird. Das Gemeinwohl emanzipiert sich von Gott als dem Geber der für das Gemeinwohl unbedingt notwendigen Güter.
Was bleibt jetzt noch übrig für den Begriff der Blasphemie. Das höchste Gut ist nun-seit der Aufklärung der öffentliche Friede. Unter Blasphemie wird nun eine Meinungsäußerung verstanden, die so sehr die religiösen Gefühle beleidigt,daß sie zum Unfrieden in der Sozialgemeinschaft führen. Die Beleidigten rächen sich an den Blaspemikern statt daß Gott die Blasphemie straft in seinem gerechten Zorn! Damit es innergesellschaftlich nicht zu religiös motivierten Zorneshandlungen kommt, müssen nun blasphemische Äußerungen und Handlungen durch den Staat unterbunden werden! Nicht mehr Gott ist der Beleidigte sondern die religiösen Gefühle. Um des Friedens willen sollen diese Gefühle nicht beleidigt werden. Jetzt avanciert das religiöse Gefühl zu dem Maßstab des Unterscheidens von erlaubt und unerlaubt.Tolerante Gläubige empfinden da halt anders als Intolerante und radicale Religionen anders als domestizierte, sprich aufgeklärte Religionen wie das Christentum. Und so wird dem Christen, reagiert er entsetzt auf Blasphemisches zugerufen, daß er nicht so mimosenhaft sich anstellen solle, während man Respekt vor dem Islam fordert! Und warum macht die Öffentlichkeit diese Unterscheidung so? Weil das Christentum sich seit langer Zeit jede Beleidigung gefallen läßt und die Selbstkritik in der christlichen Religion so weit kultiviert ist, daß man jeder Polemik gegen diese Religion ein bißchen recht gibt! Der Islam dagegen verschafft sich per Militanz den Respekt. Nicht ihr Gott, aber sehr wohl ihre Anhänger zeigen, daß man nicht ungestraft ihren Gott und ihren Propheten beleidigen darf!  
Wenn aber die Gottesvorstellung sich erstmal so gewandelt hat-im öffentlichen Bewußtsein, daß für das Gemeinwohl Blasphemien gleichgültig sind, dann kann es keine Revitalisierung des Neines zu Blaspemien geben außer durch die Drohung, daß religiös Beleidigte Zornesreaktionen tätigen werden! Aber das kann es in der domestizierten Religion des Christentumes nicht mehr geben. Wenn es überhaupt noch die Vorstellung eines zornigen Gottes gibt im religiösen Glauben der Christen, dann ist er vollkommen eschatologisiert: nur Gott kommt am Ende aller Zeiten es zu, zornig das Endgericht zu halten. Und bis dahin gilt der totale Zornesversicht sowohl seitens Gottes als auch seitens der Christen. (Vgl hierzu: Sloterdijk, Zorn und Zeit, 2008)
Wer heuer also eine Revitalisierung des Blasphemieverbotes fordert, stärkt damit nur den Islam und schützt ihn vor der Kritik, während das domestizierte Christentum weiterhin beleidigt werden wird, weil es auf die Beleidigungen seiner religiösen Gefühle nicht aggressiv reagiert. 
Das Christentum stand einst im Schutze des Thron und Altarbundes. Die theologische Wahrheit dieses Bundes wahr die Gotteserkenntnis, daß Gott für das Allgemeinwohl der Sozialgemeinschaft die Voraussetzung ist, weil er gibt, wem er geben will und nicht gibt, wem er nicht geben will. Gott ist dabei aber nicht als Willkürgott gedacht, sondern als gerechter Geber, sodaß die rechte Gottesverehrung die Grundvoraussetzung für die Wohlfahrt des Gemeinwesens ist und jede Blasphemie die Wohlfahrt gefährdet. Aber diese religiöse Primärvorstellung ist durch die Aufklärung genichtet worden in der so domestizierten Religion mit einer Gottesvorstellung, die Gottes Zorn radical eschgatologisiert hat, sodaß der Zorn Gottes für unser Erdendasein bedeutungslos wurde, wenn nicht diese Vorstellung ganz liquidiert wird, weil Gott nur noch Liebe sein soll. Merksatz: wenn es keinen zornigen Gott gibt, ist der Vorwurf der Blasphemie sinnlos. Die Aussage, aber meine religiösen Gefühle werden da beleidigt, verwandelt das Problem der Blasphemie in das menschlicher Toleranz bzw der mangelnden Einsicht, daß auch Religionen untereinander im Kampfe stehen und die wechselseitige  Polemik dazugehört von anderen Religionen oder von Atheisten. Und wo hätte uns Christus verheißen, daß wir Christen auf Erden kampflos friedlich leben werden? Einst wußte die Kirche, daß sie in ihren Dienstjahren auf Erden ecclesia militans ist! Jede Lästerung wider den christlichen Gott zeigt uns, wie wahr das ist! Aber mit dem Verzicht auf den staatlichen Schutz gewinnt die Kirche nun auch die Freiheit, selbst für die Wahrheit der christlichen Religion  kämpfen zu dürfen! Wir dürfen so die anderen Religionen kritisieren als unwahre, ohne damit selbst gegen ein staatliches Verbot der Blasphemie zu verstoßen. Denn ein konsequentes staatliches Verbieten allen Blasphemischen könnte auch die Freiheit der Kirche zur Religionskritik beeinträchtigen!                                  

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