Sonntag, 8. Februar 2015

Erlösungsvorstellungen und ihr Scheitern-
oder das Ende der Politik
 
Dem großen Schriftsteller Wilhelm Raabe verdanken wir (in seinem Roman, der Hungerpastor) diese melancholisch-ironische Lebensbetrachtung:

"Arme Leute und reiche Leute leben auf verschiedene Art in dieser Welt; aber wenn die Sonne des Glückes in ihre Hütten, Häuser oder Paläste scheint, so vergoldet sie mit ganz nämlichen Schein die hölzerne Bank wie den Samtsessel, die getünchte Wand wie die vergoldete, und mehr als ein philosophischer  Schlaukopf will bemerk haben, daß, was Freude und Leid betrifft, der Unterschied zwischen reichen und armen Leuten gar nicht so groß sei, wie man auf beiden Seiten oft, sehr oft, ungemein so denkt. Wir wollen das dahin gestellt sein lassen; uns genügt es, daß das Lachen nicht Monopol und das Weinen nicht Servitut ist auf diesem rundlichen, an beiden Polen abgeplatteten, feuergefüllten Ball, auf welchem wir uns ohne unseren Willen einfinden und von welchem wir ohne unseren Willen abgehen, nachdem uns der Zwischenraum zwischen Kommen und Gehen sauer genug gemacht wurde." 

Das moderne Politikverständnis gibt W, Raabe recht. Das Leben hier auf Erden ist ein Elend. Sagen wir es mit den Worten des "Salve Regina": "Zu dir rufen wir trauernd und weinend  in diesem Tal der Tränen," Aber es relativiert diese Aussage historisch. Das war so, aber es soll so nicht bleiben. Die Aufklärung ist nicht einfach die reine Negation der Religion, Sie will sie säkularisieren und das heißt immer auch: politisieren. Das, was der religiöse Mensch von Gott erwartet, daß soll nun die Aufgabe des Menschen werden.Das ist das Zentralanliegen der Religionskritik Feuerbachs und darauf fussend K. Marx. Den Himmel überlassen wir den Spatzen, wir humanisieren die Welt, so H. Heine, In den radicalsten Politikkonzeptionen der Moderne wird dies deutlicher als in den gemäßigteren, aber auch sie leben aus diesem Erlöserpahos, nur eben in leiseren Tönen. Hören wir mal auf die Stimme des sonst so kühl philosophisch abstrakt denkenden L. Althusser, eines strukturalistischen Marxisten: "Gewiß, wir alle haben das "Kapital" gelesen, wir alle lesen es! Seit einem Jahrhundert etwa können wir es jeden Tag in aller Deutlichkeit lesen: in den Aktionen und Träumen unserer Geschichte, ihren Auseinandersetzungen und Konflikten, in den Niederlagen und Siegen der Arbeiterbewegung-unserer einzigen Hoffnung und Bestimmung."  L. Althusser, Das Kapital lesen Bd.1, 1972, S.11) Das ist eine zutiefst religiöse Sprache! Sie gibt Raabe recht und ersetzt die christliche Hoffnung auf das Reich Gottes durch die auf eine politische. Bei G. Lukacs, von Althusser ob seines Voluntarismus heftig kritisiert, liest sich das selbe Anliegen so: "Dieses Wollen macht nämlich das Proletariat zum sozialistischen Erlöser der Menschheit, und ohne dies Erlöser-Pathos wäre der beispiellose Siegeslauf der Sozialdemokratie nicht vorstellbar gewesen." Lukacs, Der Bolschewismus als moralisches Problem, in: Lukacs, Taktik und Ethik, Politische Aufsätze 1, 1975, S.29). So unterschiedlich die modernen postchristlichen Politikkonzeptionen von Kants Hoffen auf den ewigen Frieden in einem republikanischen Weltstaat bis zu Marx Kommunistischem Manifest auch ausfallen, es sind Weltbeglückungskonzeptionen, die die christliche Erlösungshoffnung nicht einfach negieren, sondern sie säkularisieren zu einer politischen, nein zu der politischen Aufgabe. 
Die linken Konzepte widersprechen aber in einem wesentlichen Punkt W. Raabe. Das Unglück der Welt läge gerade in dem ungerecht verteiltem Reichtum. Darum wird die Welterlösung primär eine sozialpolitische Aufgabe. Aber erst jetzt kann von Politik im emphatischen Sinne des Wortes gesprochen werden.Die Moderne lebt von diesem Politikbegriff. 
Mit dem Scheitern all dieser Welterlösungskonzeptionen stehen wir mitten in der Postmoderne. Aber auch sie protestiert noch gegen W. Raabe. Die Welt, aus der wir ohne unseren Willen fortgehen, dagegen setzt sie nun das Ideal des Freitodes.Man könnte somit sagen, daß die moderne Utopie der Weltbeglückung sich reduziert auf die Hoffnung auf ein frei gewähltes Lebensende, Wem das Leben auf der Erde zu sauer geworden ist, der möchte es freiwillig beenden. Und die Politik reduziert sich dann auf den sozialdemokratisch ausgestalteten Wohlfahrtsstaat, der Armer etwas reicher und Reiche etwas ärmer machen soll, damit das Lebensglück gleichmäßiger sich verteilt.
Könnte es noch eine Möglichkeit des Widerspruches gegen Raabes Lebenswahrnehmung geben? Ich möchte diese Möglichkeit die esoterische nennen. Gegen Raabes Aussage, daß wir uns in der Welt als in sie ohne unseren Willen Hineingeworfene wahrnehmen, könnte die esoterische Antwort heißen: daß der Mensch in einer präexistenten Urwahl sein Erdenlos selbst frei sich erwählt hätte. Das führte zur reinen Affirmation unseres Lebens in diesem Tränental, weil wir es ja selbst so uns erwählt hätten. Man verurteile eine solche Konzeption nicht zu schnell. Denn gerade bei Platon lassen sich Ansätze dafür finden. 
Was sollte die Theologie zu diesen Konzepten sagen? Erstmal, und das muß nun sehr verblüffen, kann sie ein Anliegen des esoterischen Konzeptes aufnehmen: daß der Mensch durch seine Urwahl, der Sünde in Adam sich sein Exilsdasein selbst verdankt und sie kann von der politischen Konzeption das Recht auf das Hoffen auf eine Erlösung aufnehmen, nur nicht als politische Aufgabe sondern als eine Hoffnung auf Gottes Erlösungshandeln gegen eine resignative Gestimmtheit der Postmoderne. Sie wird aber immer auch mit Raabe aller Verklärung unseres Erdendaseins, daß wir schon in der besten aller denkbaren Welten (Leibniz) lebten, widersprechen.          
Die Kirche hat sicher nicht gut daran getan, wenn sie im 2, Vaticanum den Versuch unternahm, diese moderne Politikkonzeption der Weltbeglückung in sich aufzunehmen. Es sei an "Gaudium et spes" erinnert. Was dann? Sie wird, so befremdlich das jetzt auch klingen muß, teilweise der esoterischen Konzeption recht geben, indem sie das Erdendasein als Exil begreift, das sich der Mensch durch seine sündige Urwahl in Adam und Eva selbst bereitet hat und sie wird der politischen Moderne teilweise recht geben in dem Recht des Hoffens auf eine zukünftige Erlösung, nur nicht als Werk des Menschen sondern als Gabe Gottes gegen eine postmodernitische Resignation, die einfach zur Affirmation des Bestehenden tendiert.  Man könnte, so befremdlich, das auch klingen muß, in dem Zitat von W. Raabe, in seiner melancholischen Ironie selbst eine Spur postmoderner Lebensauffassung wiederfinden, als wäre er hier seiner Zeit voraus.    
           

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