Dienstag, 6. Januar 2015

Kirche im Rückzug?

Der Kampf um die Gewissensfreiheit

Unglaublich, aber wahr
Eine Besprechung in einem Seelsorgeteam in einem bayrischen Spital. Der Krankenhauspfarrer regte an, regelmäßig das Allerheiligste auszusetzen zur stillen oder gestalteten Anbetung zur Bereicherung des religiösen Lebens der Patienten. Empört stand der ständige Diakon auf und erklärte: er könne es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, statt für die Patienten da zu sein, Zeit vor dem ausgesetzten Allerheiligsten zu verbringen. Er sei um der Menschen willen hier als Diakon! Für diesen katholischen Diakon ist die eucharistische Anbetung mit seinem Gewissen nicht vereinbar!

Szenenwechsel:

Irgendwo in England beantragt ein englischer Soldat eine Dienstbefreiung, um an einer religiösen Veranstaltung teilzunehmen. Das Recht auf eine befristete Dienstbefreiung steht Soldaten zu,um ungehindert ihre Religion ausüben zu können, soweit dies mit den Dienstpflichten vereinbar ist. Das ist eine der vielen Früchte der Religions-und Gewissensfreiheit. Kein Problem-oder doch? Der Soldat wollte als aktiver Satanist an satanistischen Veranstaltung teilnehmen. Das wurde ihm gestattet, denn auch der Satanismus ist eine Religion, die so frei ausgeübt werden darf.1 Kann und darf es das Anliegen der Kirche Jesu Christi sein, sich für die Religionsfreiheit von Satanisten einzusetzen?

Die Verurteilung der Gewissensfreiheit

Angesichts solcher absurden aber wirklich vorfallender Gebräuche der Gewissens-und Religionsfreiheit: wer dächte da nicht an Papst Gregor XVI. Erkenntnis, daß die Gewissens-wie die Religionsfreiheit Wahnsinn ist, ja eine Erfindung des Leibhaftigen.“Aus dieser modrigen Quelle der Gleichgültigkeit, die den Glauben betrifft,fließt jene törichte und falsche Ansicht,die man besser als Wahnsinn bezeichnet, für jeden die Gewissensfreiheit zu fordern und zu verteidigen. Der Wegbereiter für diesen überaus verderblichen Irrrtum ist diese vollkommen übermäßige Meinungsfreiheit, die auf weiten Gebieten zum Verderben der Kirche und des Staates verbreitet ist, Einige behaupten hierbei mit großer Unverschämtheit, daß sich daraus Vorteile für die Religion ergeben. Der heilige Augustin sagt dagegen, was ist tödlicher für die Seele,als die Freiheit des Irrtums:“2 Will man aber diese vernichtende Kritik des Papstes in seiner Enzyklika: „Mirari vos arbitramur“ im Denzinger-Hünermann nachlesen, der fast offiziellen Dokumentensammlung des Katholischen Glaubens, wird man feststellen müssen, daß diese päpstliche Verurteilung der Gewissensfreiheit dort wegszensiert worden ist! Und man wird ebenso verwundert feststellen, daß die Festlegung, daß das 2. Vatikanische Konzil in der Erklärung: „Dignitatis humanae“ in Hinsicht auf die Lehre von der Religions-und Gewissensfreiheit nicht beabsichtige, etwas zu lehren, was der verbindlichen Tradition widerspräche, ebenso im Denzinger-Hünermann der Zensur zum Opfer fällt. Aber das Wegszensierte ist weiterhin in Kraft gegen alle Modernisten.

Aber so wird die Causa: Gewissensfreiheit doch nur einseitig betrachtet?

Irgendwo in Europa oder Amerika, den Ländern der praktizierten Gewissens-und Religionsfreiheit: überall ist die Tötung ungeborener Kinder -unter bestimmten Auflagen -erlaubt oder wie in Deutschland zwar weiterhin unerlaubt aber strafffrei, wenn bestimmte Konditionen erfüllt werden und dort stehen christliche Ärzte vor diesem Problem: darf ich als Arzt eine vom Gesetzgeber erlaubte Abtreibung, bzw, Beteiligung an einer Abtreibung verweigern unter Berufung auf mein christliches Gewissen? Darf eine Agentur zur Vermittlung von Kindern an adoptionswillige Eltern die Vermittlung an homosexuelle Paare verweigern, wenn der Staat eine Adoption Homosexuellen erlaubt ? Dürfen staatlich genehmigte Maßnahmen zur Euthanasie von christlichen Ärzten verweigert werden mit der Begründung der Unvereinbarkeit solcher Handlungen mit dem christlichen Gewissen? Palko nennt diesen Kampf den Kampf um den Gewissensvorbehalt. Wenn staatliche Gesetze demokratisch legitim verabschiedet werden, die Handlungen in einem Beruf erlauben oder vorschreiben, denen die Menschen, die davon betroffene Berufe ausüben, mit derem Gewissen unvereinbar sind, dann haben die Betroffenen das Recht, diese Handlungen zu verweigern auf Grund des Rechtes ihres Gewissens. Diesen Gewissensvorbehalt zu erkämpfen sei die Aufgabe konservativer Christen im politischen Tagesgeschäft. Das führt Palko in seinem wirklich lesenswerten Buch: „Die Wölfe kommen“ aus.

Vorausgesetzt wird dabei, realpolitisch angemessen, daß die nationale wie die europäische Gesetzgebung regelmäßig Gesetze verabschiedet, demokratisch formal legitim, die unvereinbar sind mit der christlichen Moral. Gerade in den Bereichen der Euthanasie, der Abtreibung und der Anerkennung und Förderung der Homosexualität ist dies die gängige Praxis der heutigen Gesetzgebung, auch wenn christlich sich nennende Parteien aktiv daran beteiligt sind. Bekannt ist ja die deutsche Gesetzeslage, daß vom Staat nur solche Schwangerschaftskonfliktberatungs-organisationen anerkannt und staatlich finanziert werden, die Lizenzen zur Tötung von ungeborenen Kindern ausstellen. Weil die katholischen Beratungsstellen solche Tötungslizenzen nicht ausstellen, wird ihnen die staatliche Anerkennung verweigert und damit auch die finanzielle Förderung. Um weiterhin staatliche Gelder zu bekommen, ist dann ja „Donum Vitae“gegründet worden, die dafür Tötungslizenzen ausstellen.

Der Kampf um den Gewissensvorbehalt

Es gibt, wie Palko aufweist, eine Tendenz in Europa wie in Amerika, diesen „Gewissensvorbehalt“ abzuschaffen. Vermittlungsagenturen, die sich weigern, zur Adoption freigegebene Kinder an Homosexpaare zu vermitteln, wird die Anerkennung aberkannt, sodaß ihnen keine Kinder mehr zugewiesen werden. „2004 verpflichtete der Chef der Legeslative, der Gouverneur von Massachusetts Mitt Romney, alle Beamten der Schiedsgerichte müssen auch gleichgeschlechtliche Paare trauen. Eine Berufung auf das Gewissen sei nicht zulässig.“3 Aber auch in Europa schlägt die Homosexlobby zu: „ 2012 kam ins niederländische Parlament ein Gesetztesentwurf,mit dem verhindert werden soll, dass sich Standesbeamte auf ihr Gewissen berufen, wenn sie gleichgeschlechtliche Paare zu trauen haben.“4 Ja, adoptionswilligen Eltern wird das Recht zur Adoption vom Staat abgesprochen, wenn sie im Geiste der Kirche Bedenken gegen die moralische Legitimität gelebter Homosexualität nur äußern! „Laut dem Urteil des Londoner High Courth ist der Ausschluss der Johns von der Pflege wegen ihrer Einstellung zur Homosexualität berechtigt und keine Diskriminierung ihres Glaubens.“ Denn: „Pflegeleute müssten den Kindern beibringen, dass homosexuelles Verhalten in Ordnung ist.“5

Wenn es nicht genug abtreibungswillige Ärzte gibt, dann wird zusehens Druck auf die Ärzte ausgeübt. Als angehender Arzt hätte man ja wissen können, daß Tötungen von noch nicht geborenem Leben zu den Aufgaben eines Krankenhausarztes gehören, sodaß Christen dann einen anderen Beruf hätten ergreifen können! „Im Herbst 2011 klagten zwölf Krankenschwestern gegen die Leitung des Krankenhauses in New Jersey in den USA. Auch sie hatte man gezwungen, unter der Drohung der Entlassung sich an Abtreibungen zu beteiligen:“6 Die zu erwartende Liberalisierung der bisherigen Verbote von Sterbehilfe und Tötung auf Verlangen für Ärzte und medizinisches Fachpersonal wird diese Problematik noch verschärfen.
Der Gesetzgeber will, demokratisch legitimiert, bestimmte Handlungen gesetzlich erlauben, die unvereinbar sind mit der christlichen Moral. Es gehört nun auch zu den Aufgaben des Staates, den potentiellen Nutzern dieser Rechte an Handlungen, wie etwa Abtreibungen und Sterbehilfe , dies auch zu ermöglichen. Wenn nun viele die Ausübung solcher mit ihrem Gewissen unvereinbarer Handlungen verweigern, kann es aus staatlicher Sicht zu dem Problem kommen, daß eine erlaubte Handlung in einem Krankenhaus nicht realisiert werden kann, weil es an Ärzten fehlt, die diese Handlungen bereit sind auszuüben. Hier setzt nun der politische Diskurs ein, Ärzten und auch anderen zu Handlungen zwingen zu wollen, die die Betroffenen als unvereinbar mit ihrem Gewissen ablehnen.

Totalitäre Demokratie?

Der demokratische Staat bekommt so eine totalitäre Tendenz, indem er um der Realisierbarkeit von Gesetzen willen, die Christen als unvereinbar mit ihrem Gewissen ansehen, die Gewissensfreiheit einzuschränken. Bekannt ist der demokratiekritische Ausspruch Benjamin Franklins: Was ist Demokratie? Wenn zwei Wölfe und ein Lamm darüber abstimmen, was es zum Mittagessen gibt. Romig notiert dazu: „Aus sich heraus kennt die Demokratie keine Begrenzung der Herrschaft: Wo die Mehrheit diktiert ,hat die Minderheit keine Rechte.“7 Papst Johannes Paul II. Warnte so ja, daß eine Demokratie so in der Gefahr stehe, sich leicht in einen offenen oder hinterhältigen Totalitarismus zu verwandeln.8 Gemeint ist damit, daß wenn alles dem formaldemokratischen Entscheidungsprozeß unterworfen ist, es keine Werte und Normen mehr gibt, die nicht selbst wieder demokratisch entwertet werden könnten. Die Form löst so alle Gehalte auf. Der viel zitierte Ausspruch des Bundesverfassungsrichters Böckenförde: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann,“,9 verkennt ja, daß diese Voraussetzungen nur so lange lebendig bleiben, wie die Demokratie sie als vordemokratische Voraussetzungen nicht selbst zum Gestanstand der demokratischen Entscheidung macht und sie so aufhebt. Ist alles demokratisiert, nichten sich diese Voraussetzungen.

Den Christen droht es, Lämmer in den westlichen Wolfsdemokratien zu werden. Als Ausweg bietet sich da nur die Einpassung in den Zeitgeist an als unbedingte Anerkennung des positiven Rechtes des Staates, auch wenn dieses fundamental dem Naturrecht und der christlichen Moral widerspricht. Diesen Anpassungsweg gingen und gehen die C-Parteien in Europa. Und sie finden dafür breite Unterstützung in der kirchlichen Basis und den vielfältigen kirchlich-antikirchlich ausgerichteten-Reformbewegungen. Man denke hier nicht nur an: „Wir sind Kirche“ sondern auch an den „Dialogprozeß“ in der katholischen Kirche Deutschlands mit ihren sattsam bekannten Früchten.

Es ist wohl einer der größten Illusionen europäischer Christen nach dem Erleiden zweier totalitärer Staatsformen, der des Sozialismus/Kommunismus und der des Nationalsozialismus, daß die demokratische Staatsform im Kontrast dazu eine antichristliche Gesetzgebung ausschlösse und ob der in dieser Staatsform anerkannten Menschenrechte auch es unmöglich mache, daß Christen durch staatliche Gesetze zu widerchristlichen Handlungen genötigt werden. Aber in einer postchristlichen Gesellschaft ist gerade, wenn und weil sie demokratisch ist, mit Gesetzen zu rechnen, die so postchristlich und auch widerchristlich sind wie die Mehrheitsmeinung der wahlberechtigten Staatsbürger! Gerade die faktische Außerkraftsetzung des Rechtes auf Leben bei ungeborenen Kindern durch die jetzige Abtreibungspraxis zeigt, daß die demokratische Staatsform gerade kein Garant für die Wahrung der Menschenrechte ist. Ganz demokratisch können Menschenrechte Menschen aberkannt werden, jetzt faktisch schon in der staatlichen Abtreibungspraxis und zukünftig zusehens in der Euthanasiepraxis, indem Menschen selbst ohne ihre Einwilligung getötet werden dürfen in der Gestalt der sogenannten Sterbehilfe!

Eine Orientierungsskizze:

Es soll nun versucht werden, die aktuelle Debatte in die Geschichte des Kampfes um die Anerkennung der Gewissensfreiheit einzuzeichnen. Versimplifiziert kann gesagt werden, daß in einem Staate der guten Gesetze es kein legitimes Recht auf das Insistieren einer Gewissensfreiheit geben kann. Wenn das Gesetz auf das Gute ausgerichtet ist als dem jus naturae oder dem offenbarten Guten, dann kann es kein Recht geben, gegen das Gute sich zu entscheiden. Ein Gewissen, das sich irrte und das Nichtgute dem Guten vorzöge, wäre keines, das im Recht wäre. Die Idee der Konstantinischen Epoche mit seinem Thron-und Altarbündnis sollte garantieren, daß das öffentliche Leben durch gute Gesetze bestimmt wird. Diesen gegenüber kann es kein Recht auf ein Handeln gemäß dem eigenen Gewissen wider das staatliche und kirchliche Gesetz geben. Aus kirchlicher Sicht galt dabei als Ideal die Überordnung der Kirche über den Staat, mustergültig entfaltet in der Bulle des Papstes Bonifatius VIII.Unam sanctam“ aufgrund der dem staatlichen Ziel übergeordnetem kirchlichen Ziel des ewigen Heiles und der Einsicht, daß die natürliche Vernunft ihre Vollendung erst in der Offenbarung findet. Es ist jetzt nicht vonnöten, die Versuche,die mehr oder weniger gelungenen Realisierungen dieser Idee in der Zeit der konstantinischen Epoche darzulegen. Es reicht der Verweis, daß erst mit dem Pauschalverdacht, daß die Kirche Gottes Wille und Gebote verfälsche, das individuelle Gewissen als Opposition zu der Verbindlichkeit der öffentlichen staatlichen und kirchlichen Gesetze propagiert wurde. Luther mag hier exemplarisch für viele Kirchenkritiker stehen.

Das Zeitalter der innerchristlichen Religionskriege des 17.Jahrhundertes, kumulierend im 30 jährigen Kriege schuf erst die Voraussetzungen für das Reüssieren des Gewissens als der letztgültigen Instanz des Entscheidens: was darf ich und was darf ich nicht. Die Aufklärung ist dabei am besten zu begreifen, wenn sie als Domestikationsversuch der Religionen und insbesondere der christlichen begriffen wird. Die Religionen sollen so umgeformt werden, daß sie nicht mehr einen legitimen Grund für Kriege in sich tragen. Die Installation des Gewissens als der Letztinstanz des moralischen Urteilens soll so jeder kirchlichen Morallehre übergeordnet werden. Nicht irgendeine Kirchenlehre, sondern das Gewissen ist die Instanz, die entscheidet über gut und böse. Die Forderung nach der Anerkennung der Gewissensfreiheit verbindet so zwei divergierende Intentionen. Sie soll den Menschen, der zwischen den verschiedenen Morallehren der christlichen Konfessionskirchen steht, sagen, daß er, wenn er nicht sich entscheiden kann, welcher er als wahr anerkennen will, es auch vor Gott ausreiche, das zu tun, was seinem Gewissen entspricht.Und die Forderung nach der Gewissensfreiheit fordert eine Öffentlichkeit, in der die Gesetze und Morallehren der Kirche nicht das letzte Wort haben. Diese können nur noch Angebote auf dem freien Markt der Moraldiskurse anbieten und der Konsument entscheidet sich dann für das ihm Genehme. Die Entkirchlichung der gelebten Moral ist so das Ziel des Ideales des nach seinem Gewissen Lebenden. Dies meinte auf der Höhe der Aufklärung noch nicht ein rein subjekjtiv willkürliches Gewissen und auch noch nicht die Abkehr von Gott. Nein, vielmehr war es zuerst das Nein zur Vermittlung dessen, was wahr und gut ist, durch die Kirche mit der Behauptung eines unmittelbaren Wissens des Guten im Gewissen des Menschen. Die These der Unmittelbarkeit ist der Angriff auf die Kirche.

Ganz anders sieht die Gefechtslage um den Kampf der Gewissensfreiheit aus durch die Romantisierung der Aufklärung. Eine Verhältnisbestimmung von Aufklärung und Romantik kann hier ob der Komplexität der Materie nicht geleistet werden. Es soll deshalb nur abbreviaturhaft konstatiert werden, daß die Romantik das Gewissen individualisierte und so erst die Gleichsetzung von Gewissen und Subjektivismus erzielte.

Und gegen diesen romantisch-subjektivistisch geprägten Gewissensbegriff und der Forderung nach der Gewissensfreiheit, auf diesem Verständnis basierend, erhob das kirchliche Lehramt aufs entschiedenste sein: Nein!. Die Moral darf nicht der Willkür der subjektiven Gewissensbeliebigkeit aufgeopfert werden. Die Moderne bietet so ein eigentümliches Schauspiel. Einerseits will sie die Instanz des Gewissens als die letztendlich gültige des Entscheidens über gut und böse proklamieren.
Andererseits wird gerade diese Instanz in ihrer geschichtlich-sozialen Bedingtheit entwertet, weil sie nun nur noch die Wiederspiegelung der zeitgenössischen Moral sein soll. K,Marx würde sagen, daß der Gehalt des Gewissens nur die individuierte Aufnahme der Gedanken der Herrschenden der jeweiligen Zeit ist. Aber in antikirchlicher Intention wird dieser so soziologisch und psychologisch, man denke an Freudes Rekonstruktion des Gewissens als Gestalt des Überiches, entwertete Instanz wieder in Stellung gebracht.

Diese Abbreviatur des Wandels der Vorstellung vom Gewissen in seiner antikirchlichen Intention stellt uns nun vor die Frage: wie konnte es dazu kommen, daß die Kirche die Forderung nach der Anrerrkennung der Gewissensfreiheit positiv aufnahm, wie es im 2. Vaticanum geschah? Diese Frage ist leichter beantwortbar, wenn wir uns die Rezeptionsgeschichte des Begriffes der Subsidarität in der Katholischen Soziallehre vergegenwärtigen.

Die Idee der Subsidarität ist eine Erfindung reformierter Christen 1517 auf einer reformierten Synode in Emden/ Ostfriesland.10 . Als Antimodell zur Katholischen Kirche und zum organisierten Luthertum mit seiner Tendenz zur Bureaukratisierung entwickelten sie für die reformierten Gemeinden eine Art Basisdemokratie. Alles solle in und von der Gemeinde entschieden werden und nur wenn eine Gemeinde überfordert wäre, soll eine übergeordnete Instanz der Gemeindenorganisation Entscheidungen über Gemeindeanliegen treffen dürfen. Soviel Gemeinde wie möglich, so wenig Kirche wie unbedingt nötig. Darauf kann dies antikatholische Aufbauprinzip des Reformiertentums reduziert werden. Wie konnte nun aber ein so antikatholisch geartetes Organisationsprinzip positiv von der Katholischen Kirche rezipiert werden? Übertrüge die Kirche dies Prinzip auf sich selbst, wäre dies die Selbstauflösung der Kirche in einen losen religiösen Gemeindenverband. Zuerst: dies Prinzip wendet die Kirche nur gegen den Staat und vermeidet es tunlichst, dies Prinzip auf sich selbst anzuwenden. Im Kampf um die Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat dient dies Prinzip einzig und allein dazu, dem staatlichen Regeln Bereiche zu entziehen, damit diese Freiräume dann kirchlich ausgestaltet werden können.

Ein strategischer Rückzug der Kirche?

Die Herausbildung des Nationalstaates, der sich die Religionen unterordnete evozierte eine kirchliche Strategie der Begrenzung des Staates. Er solle Freiräume zulassen, die dann von dezentralen selbstständigen Handlungsträgern gestaltet werden. Die Kirche versteht sich nun nur noch als ein potentieller Träger unter vielen in einer Ziviligesellschaft, die durch freie Bürger und bürgerliche Vereinigungen gestaltet wird. Der Staat solle dafür nur die Rahmenordnung setzen, darauf sich limitieren, um so diese Freiräume zur Gestaltung zu gewähren. Implizit steht hier der Staat unter dem Generalverdacht der schlechten Gesetze, des Verdachtes, daß sein positives Gesetz nicht mehr kompatibel ist mit dem Naturrecht und der christlichen Moral. Weil der Kirche die Macht und Durchsetzungskraft fehlt, staatliche Gesetze gemäß der kirchlichen Lehre zu erwirken, limitiert sie sich darauf, Freiräume einzufordern, die dann von der Kirche oder christlichen Trägern im Sinne der kirchlichen Morallehre ausgestaltet werden können. Einfach gesagt: statt staatlich einheitlich gestalteter Schulen und Kindergärten kirchliche Kindergärten und Schulen, die dann innerlich in der vom Staat vorgesehenen Rahmenordnung gestaltet werden können. Es ist der Rückzug auf Freiräume im staatlichen Rahmenplan. Dem korrespondiert als kleinster von staatlicher Reglementierung freier Raum das Gewissen. Hier soll der Staatsbürger sozusagen eine staatlich anerkannte und respektierte Intimsphäre erhalten, in der er nach seiner Fasson selig zu werden versuchen darf. Die Königsherrschaft Christi wird so limitiert auf den Intimraum des Gewissens und den staatlich anerkannten Freiräumen in der Zivilgeselschaft.

Der Pluralismus und die Kirche

Damit ordnet sich die Kirche der weltanschaulichen Vorgabe der pluralistisch verfaßten Gesellschaft unter. Anstelle der Unterscheidung von wahrer und falscher Religion, tritt das Postulat der Gleichgültigkeit aller Religionen und Weltanschauungen. Der Staat habe jede Religion und jede Weltanschauung als reine Privatangelegenheit zu respektieren. Die privatisierten Religionen und Weltanschauungen dürfen dann ihre Anliegen auch in den öffentlichen Diskurs einbringen. Sie dürfen dann auch im Sinne des bürgerlichen Vereinslebens vereinsintern oder in Einrichtungen ihrer Trägerschaft das dortige Leben gestalten. Es kann nur einen christlichen Kindergarten in einer pluralistischen Gesellschaft geben, weil es auch den islamischen oder den anthroposophischen gibt. Es gibt christliche Beerdigungen, weil der Staat auch satanische erlaubt! So der Fall Crammer im Rechtsstreit mit der englischen Kriegsmarine:„Wegen der Ideologie über die Gleichheit von Religionen waren die Streitkräfte einverstanden, und Crammer wurde der erste registrierte Satanist in der Marine ihrer königlichen Hoheit. Falls Crammer zufällig bei einer Kampfaktion fällt, werden für ihn die britischen Streitkräfte eine Bestattung nach den Regeln der `Kirche des Satans`veranstalten.“11

Die Kirche zahlt damit einen hohen Preis. Darf sie das?, lautet die Anfrage manches Katholiken. Und nicht nur Traditionalisten fragen besorgt so! In loser Anlehnung an C. Schmitts Essay: „Römischer Katholizismus und politische Form“ könnte man sagen, daß die Gestaltung der Beziehung der Kirche zum Staat, die Kirchenpolitik der Kirche sozusagen kirchliche Realpolitik ist.
Wenn die Kirche nicht die Macht und den Einfluß auf den Staat hat, daß er gute Gesetze, das heißt mit der christlichen Religion kompatible Gesetze macht, dann muß sich die Kirche darauf beschränken, Freiräume zu erkämpfen, in denen es Christen in einer zusehens widerchristlich verfaßten Gesellschaft möglich bleibt, gemäß der wahren Religion zu leben. Tritt ihr in den totalitären Staaten ein Weltanschauungsstaat gegenüber, der im Namen seiner Wahrheit, etwa des wissenschaftlichen Sozialismus die Unterdrückung jeder anderen Weltanschauung legitimiert, weil es kein Recht für den Irrtum und die Unwahrheit geben kann, dann zieht sich die Kirche, kirchenpolitisch klug handelnd auf die liberalen Standpunkt zurück, daß der Staat nicht das Recht habe, Weltanschauungen zu diskriminieren ob der allgemein anerkannten Menschenrechte. Es ist eine äußerliche Anpassung an die realen Machtverhältnisse einer postchristlichen Gesellschaft. Wer meinte, die Kirchenpolitik allein aus der Dogmatik des Glaubens deduzieren zu können, der verkennt, daß im kirchenpolitischen Handeln die Kirche in der Welt agiert und somit auch weltgemäß handeln muß.

Aber was sie im Außen bejaht, etwa das Subsidaritätsprinzip und die Gewissensfreiheit und die Meinung der Gleichwahrheit aller Religionen kann sie intern nicht bejahen. Wenn eine werdende Mutter es mit ihrem Gewissen in Einklang bringen kann, ihr Kind töten zu lassen, dann kann und darf die Kirche diese Gewissensentscheidung einer Christin nicht akzeptieren. Sie darf es auch Pfarrern nicht gestatten, Homosexpaare zu segnen, wenn der Geistliche das für sich in Ordnung empfindet, das könne er vor seinem Gewissen verantworten. Und die Gemeinde darf dann auch nicht gemäß dem Subsidaritätsprinzip entscheiden, Homosexehen zu segnen. Denn in der Katholischen Kirche ist für jede Gemeinde das päpstliche Lehramt zuständig, und nicht ist die letztgültige Instanz der Auslegung des Willens Jesu Christi die Gemeindeleitung vor Ort, wie es dem Subsidaritätsprinzip entspräche. Und selbstverständlich muß die Kirche darum kämpfen, daß sie als Arbeitgeber Menschen ob ihrer Religion diskriminieren darf. Denn sonst müßte sie auch Islamistin als Kindergärtnerin einstellen mit der Begründung, sie dürfe einer Frau ob ihres islamischen Glaubens nicht eine Anstellung verwehren. Das wäre ein sie diskriminierender Akt.


Aber auch dieser Freiraum ist nicht unumkämpft. Der Kampf gegen die Freiheit der Kirche und des Rechtes von Christen, in Übereinstimmung mit ihrem Glauben zu leben, ist schon längst eröffnet. Dabei ist nicht in erster Linie an totalitäre Staaten zu denken, sondern gerade, wie es Palko in seinem Buch, „Die Löwen kommen“ detailreich aufzeigt, der sogenannte freie Westen! Es bedarf keiner prophetischen Begabung, um die zukünftigen Konfliktfelder gerade in Deutschland vorauszusehen. Die gesetzliche Regelung der finanziellen Förderung gemäß dem Subsidaritätsprinzip von sog. Freien Trägern für soziale Dienstleistungen in der Kinder-Jugend- und Seniorenarbeit und vielfältigster anderer sozialer Handlungsfelder ist immer auch ein Hebel zur Beeinflussung der von den Freien Trägern geleisteten Arbeit. Eine einfache Frage drängt sich deshalb auf: werden katholische Kindergärten, Schulen und sonstige Bildungseinrichtungen weiterhin vom Staat gemäß dem Subsidaritätsprinzip mitfinanziert, wenn ihre Arbeit nicht gemäß der Genderideologie, nicht als Hinführung zur Akzeptanz der Pluralität gelebter Sexualität ausgerichtet ist? Wird eine katholische Eheberatung noch finanziert durch den Staat, wenn in ihnen keine Eheberatung für Homosexpaare geleistet wird? Und wie lange wird der Staat noch kirchliche Kindergärten finanzieren, die ihre Arbeit christlich ausrichten, wenn auch dort die Mehrheit der Kinder nichtchristlich ist? Donum Vitae zeigt: als der Staat die Arbeit der kirchlichen Schwangerschaftskonfliktberatung nicht mehr mitfinanzieren wollte, weil diese keine Tötungslizenzen mehr auszustellen bereit waren auf die Initiative des Papstes hin, da verließen Mitarbeiter die kirchliche Beratungsstellen, gründeten Donum Vitae, um weiterhin die Staatsgelder zu bekommen! Die Deutsche Caritas steht dem leider in nichts nach. Auf ihrer offiziellen Homepage lobt sie das Buch: „Gender Mainstream im Kindergarten“. Man könne gar nicht früh genug mit der sexuellen Umerziehung der Kinder beginnen12. Schwere Zeiten drohen so auch den letzten christlichen Freiräumen von außen und durch die innere Bereitschaft, opportunistisch sich dem dominierendem Zeitgeist zu unterwerfen! Vom eigentlichen Ideal, daß der Staat, damit er ein guter Staat ist, gemäß der in der Kirche präsenten Offenbarung Gottes regieren sollte, haben wir uns so weit entfernt. Die implizite Voraussetzung des kirchlichen Jas zur Forderung nach der Gewissensfreiheit ist ja die realpolitisch nicht bezweifelbare Einsicht, von demokratischen Staaten eher mit dem christlichen Glauben unvereinbare Gesetze zu erwarten, gerade weil unsere jetzigen demokratisch verfaßten Gesellschaften postchristlich und in ihrer hedonistischen Ausrichtung schon widerchristlich orientiert sind.



1Vgl: Palko, F., Die Wölfe kommen, 1.Auflage, 2014, S.361f.
2Zitiert nach: Wikipedia, Artikel: Gewissensfreiheit.
3Palko, V., Die Löwen kommen, 1,Auflage 2014, S.322.
4Palko,V.a.a,O. S.324.
5Palko, F.,a.a.O.S. 360.
6Palko,F., a.a,O, S.374.
7Romig, F., Der schöne Schein und die Demokratie, in: Romig, F.,Der Sinn der Geschichte, 2011, S.119.
8Vgl:Johannes Paul II., Enzykika: Centensimus annus, n.46.
9Zitiert nach: Romig, F.,Der schöne Schein der Demokratie, in: Romig, Der Sinn der Geschichte, 2011, S.116.
10Vgl: Wikipedia, Artikel: Subsidarität.
11Palko, F, a.a.O.S. 361f,

12Vgl: Kath net, 18.3.2014, 18Uhr, Caritas befürwortet Gender Mainstream im Kindergarten

1 Kommentar:

  1. Für diesen katholischen Diakon ist die eucharistische Anbetung mit seinem Gewissen nicht vereinbar!

    Genau das ist der Grund warum die römisch-katholische Lehre immer unglaubwürdiger und unwichtiger wird.
    Weil die Menschen für die römisch-katholische Kirche unwichtig sind.

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