Donnerstag, 4. Dezember 2014

Jesus, das Christentum und das Judentum

Ein kompliziertes Verhältnis: Christentum und Judentum
Eine kluge Einsicht Benedikts
Versuchen wir zuerst einmal, ein wenig Licht in das Dunkle dieses Themenkomplexes zu bringen. Der Begriff des Jüdischen ist der, der diese Materie so verkomplifiziert. Denn unter jüdisch kann die jüdische Religion oder auch das jüdische Volk gemeint sein. Zudem hat die jüdische Religion einen Glaubensinhalt, der sich auf das jüdische Volk im ethnischen Sinne bezieht: das jüdische Volk wird als das von Gott erwählte Volk geglaubt-und Gott ist primär der Gott der Juden im ethnischen Sinne. Ein paar Probleme sind damit mitgesetzt: a) kann ein Nichtjude im ethnischen Sinne ein Jude im religiösen Sinne werden und ist b) ein Jude im ethnischen Sinne ein Jude im ethnischen Sinne, wenn er nicht Jude im religiösen Sinne ist? Es erstaunt uns nicht, daß diese beiden Fragen unterschiedlich beantwortet werden.
Daß Jesus im ethnischen Sinne Jude ist, bezweifelt heute niemand mehr. A. Rosenberg wollte das bezweifeln, um „die große Persönlichkeit Jesu Christi“ für sein Anliegen nicht zu verlieren1, und zitiert als Beleg den Christenprediger Ephraem: „Jesus hat so seine Abstammung von zwei allergrößten und allerberühmtesten Völkern hergeleitet, die mütterliche nämlich von den Syriern , die väterliche von den Römern.“2 Aber diese „Forschungsrichtung“ ( Chamberlain, Delitzsch), wird heuer rechtens nicht mehr anerkannt. Diskutabel ist aber die Frage, ob er a) in der jüdischen Religion aufgewachsen und sozialisiert wurde, so daß er b) im religiösen Sinne jüdisch war. Wenn Jesus jüdisch religiös gläubig war, wie können dann seine Schüler und die von ihm gegründete Kirche christlich sein, wenn Jesus und die Seinen jüdischen Glaubens waren?
Wir können die Frage auch anders stellen: ist das AT ein Buch des jüdischen Glaubens , das dann angefangen mit Paulus und den Evangelienverfassern zu einem christlichen Buch umgedeutet wurde? Gibt es also den jüdischen Glauben des Abraham und den christlichen des Paulus als zwei verschiedene Religionen und in der Mitte zwischen Abraham und Paulus sozusagen eine Person, die jüdisch im ethnischen Sinne war, und jüdisch glaubte und doch der Gründer der christlichen Religion war? Oder sollen wir eher urteilen, daß die jesuanischen Urgemeinden eigentlich Teil des zeitgenössischen Judentumes waren, bis sie ausgeschlossen wurden von der Synagoge: „denn die Juden hatten schon beschlossen, jeden, der ihn [Jesus] als den Menschensohn bekenne, aus der Synagoge auszuschließen.“ (Joh, 9,22) Sie wären dann sozusagen fremdbestimmt zu Christen, zu einer anderen Religion geworden, weil sie nicht mehr als Teil des Judentumes anerkannt worden sind. Erst die Exkommunikation aus dem Judentum ließ so gesehen die christliche Religion als selbstständige neben der jüdischen entstehen. Das hieße dann aber auch, daß die christliche Religion und die christliche Kirche etwas ist, das eigentlich nach der Intention Jesu und seiner Schüler gar nicht sein sollte-sie verstanden sich danach ja selbst als Anhänger der jüdischen Religion-vielleicht als eine Reformbewegung, aber eine innerhalb der jüdischen Religion. Daß in den Anfängen der Kirche das Programm der Heidenmission umstritten war: können Heiden Jesusgläubige werden, ohne sich gemäß der jüdischen Religion zu beschneiden, könnte daraufhin deuten, wie sehr man sich noch als jüdisch im religiösen Sinne verstand.
Dies präsumiert aber, daß es zuerst eine jüdische Religion gab, deren bedeutendstes Dokument das AT ist, wobei allerdings nicht von allen alle Teile anerkannt wurden, und daß dann secundär die christliche Religion sich bildete, die seltsamerweise das Buch der jüdischen Religion als Quelle der neuen Religion neben dem neuen Buch des NT annahm.
Diese Vorstellung ist heuer populär geworden. Aber stimmt sie auch? Was wäre dann das Christentum für ein seltsames Hybridwesen, fußte es auf einem jüdischen Fundament, im religiösen Sinne und einem daraufgesetzten christlichem ersten Stockwerk, dem Neuen Testament als dem Buch der christlichen Religion!
Der hl. Vater Benedikt XVI. weist uns da einen anderen Weg mit seiner These, daß vom Judentum -im religiösen Sinne-erst nach der Zerstörung des Tempels gesprochen werden könne.3 „Für das Judentum musste das Erlöschen des Opfers, die Zerstörung des Tempels, eine furchtbare Erschütterung sein. Tempel und Opfer stehen im Zentrum der Tora. Nun gab es keine Entsühnung mehr in der Welt, nichts mehr, das gegen ihre weiter wachsende Verschmutzung durch das Böse ein Gegengewicht sein konnte. Und: Gott, der seinen Namen auf den Tempel gelegt hatte, also geheimnisvoll in ihm wohnte, hatte diese seine Wohnstatt auf der Erde verloren. Wo ist der Bund? Wo die Verheißung?“4
Ob dieser Katastrophe mußte das Alte Testament neu gelesen werden und erst diese Neulektüre ließ diese Schrift zur Schrift der jüdischen Religion werden! Die rabbinische Lektüre ist so die Konstitution der jüdischen Religion! „Erst von da an sprechen wir vom „Judentum“ im eigentlichen Sinn als eine Weise, den Kanon der biblischen Schriften [gemeint ist hier das AT] als Offenbarung Gottes anzusehen und zu lesen ohne die konkrete Welt des Tempelkultes.“ 5
Das Christentum konzipierte sich dagegen mit der Deutung der Eucharistiefeier als der Aufhebung (im hegelischen Sinne) und Vollendung des alten Tempelkultes, ist zu ergänzen. Es gab also zu Zeiten Jesu noch gar keine jüdische Religion. Diese konzipierte sich erst nach der Zerstörung des Tempels! Aber diese Vorstellung provoziert Fragen: Was war dann die Religion der Juden-im ethnischen Sinne-bevor sie jüdisch im religiösen Sinne wurden? War diese Religion der Juden im ethnischen Sinne weder christlich noch jüdisch? Was dann?
Ich schlage die These vor, daß sie als christliche Religion anzusehen ist, da ihr Zentrum die Erwartung des Messias ist, die sich in Jesus von Nazareth erfüllte. So glaubte auch Abraham christlich und nur so kann er auch das Vorbild für den christlichen Glauben sein.
(Vgl Röm 4) Auch das religiöse Judentum kennt eine Messiaserwartung, aber die jüdische Religion lehnt es ab, diesen erwarteten Massias mit Jesus von Nazareth zu identifizieren.
Das „Nein!“ zu Jesus als den Messias konstituierte so die jüdische Religion. Sie sah in ihm nicht die Aufhebung und Vollendung des jerusalemer Tempelkultes und so in der Eucharistie feiernden Kirche die Prolongierung des Tempelkultes. Sie suchte eine Alternativdeutung und so konstituierte sich das rabbinisch-religiöse Judentum als die jüdische Religion-
Joh 9,22: „denn die Juden hatten schon beschlossen, jeden, der ihn [Jesus]als den Messias bekenne, aus der Synagoge auszustoßen.“ Durch den Ausschluß all derer, die Jesus als den Christus bekennen, konstituierte sich so die jüdische Religion. Sie ließt dann das AT und die Tatsache der Zerstörung des Tempels im Lichte des Bekenntnisses, daß dieser Jesus von Nazareth nicht der Messisas ist. Das Christentum bekennt nun, daß Jesus der Messias ist und sieht an stelle des zerstörten Tempels die kirchliche Eucharistiefeier.Wenn man das Gewicht ganz auf das Ende des Tempels legt,könnte der Eindruck entstehen, daß sowohl die religiös jüdische wie die christliche Deutung kontingente Deutungen dieses Ereignisses seien, die beide ihre Legitimität hätten. Nur, richten wir unser Augenmerk auf Jesus von Nazareth, dann gilt nicht, daß sowohl das Bekenntnis, er sei der Messias wie auch das Urteil, er sei es nicht, gleichberechtigt nebeneinander stehen könnten. Es gibt nur die eine Wahrheit!
Das Christentum ist also die Religion, die die Messiasverheißung des AT in Jesus von Nazareth erfüllt sieht und so dem Glauben der Juden des AT gerecht wird. Darum sagt ja Jesus: „Wenn ihr Mose glauben würdet, müsset ihr auch mir glauben; denn über mich hat er geschrieben.“ (Joh 5,46). Es ist nicht möglich, zu sagen, ich schenke Mose Glauben, aber Jesus nicht.Das Nein zu Jesus, er sei nicht der Messias, ist so unvereinbar mit dem Glauben des AT. Gerade in diesem Ausspruch klärt der Heiland selbst das Verhältnis des Unglaubens an ihn zum Glauben an das AT: es kann keine jüdische Religion geben, die weil sie Jesus als Messias reprobiert, sich der Treue zu den Vätern des Glaubens, Mose, Abraham etc rühmen kann. Mit dem Nein! zu Jesus wird unmittelbar auch das Nein! zu Mose gesprochen.
Die jüdische Religion ist so das gelebte Nein! zur christlichen Religion,das Nein! zum Bekenntnis zu Jesus als dem Messias. Diese Religion konstituiert sich so durch dieses Neinsagen. Und dieses Nein bleibt der Religion nicht äußerlich. Der Tempel ist zerstört, es gibt keinen Tempelkult mehr: es entstand eine Religion ohne ihr Zentrum, ohne Herz, denn es hat keinen Tempelkult. Es ist ein Signum aller nachchristlichen Religionen, daß sie alle ohne den Opferkult sind-auch der Islam kennt keinen Opferkult! Das einzig wahre Opfer, das Jesu Christi, verunmöglicht andere Opfer-jetzt gibt es nur noch das eine wahre, das Meßopfer der Kirche. Das Nein zu Jesus konstituiert so eine defekte Religion, eine Religion, dem das Herzzentrum fehlt. Alle vorchristlichen Religionen können auch als Vorbereitungen auf die wahre Religion begriffen werden, indem der Opferkult in ihnen auch ein- wenn auch- verzerrtes Vorzeichen des wahren Opferkultes ist.
Wie urteilt Jesus Christus nun über den Gottesdienst der Synagoge, die das Nein zu ihm gesprochen hat: „Wer den Sohn nicht ehrt, ehrt auch den Vater nicht.“ (Joh 5,23b) In dem Gottesdienst der jüdischen Religion wird nicht Gott geehrt und wir Christen ehrten dann in der Messe zusätzlich noch den Sohn: mitnichten. Wo Jesus nicht als der Sohn Gottes verehrt wird, da wird auch der Gott Mose und Abrahams nicht verehrt!
Was meint dann: „denn das Heil kommt von den Juden“? Es kann nicht meinen: von der jüdischen Religion! Es meint das jüdische Volk, das wahrhaft im Tempel zu Jerusalem opferte, gemäß Gottes Willen, bis der neue Kultus der Eucharistie das Tempelopfer ersetzt und darin doch auch vollendet.
Benedikt XVI. verdanken wir so den klugen Hinweis, daß im eigentlichen Sinne von der jüdischen Religion erst zu sprechen ist als der Verneinung des Bekenntnisses zu Jesus als dem Christus und dem Nein zur kirchlichen Eucharistiefeier als der Vollendung des jerusalemer Tempelopfers. Das Judentum als Religion ist so gesehen nicht eine Vorstufe der wahren christlichen Religion, auch nicht eine alternative Deutung des AT neben der christlichen, sondern ist das gelebte Nein! zu Jesus Christus,das erst nach der Geburt Jesu gesprochen werden konnte, denn es setzt das urchristliche Bekenntnis zu Jesus als dem Messias voraus. 
Eines ist aber eindeutig: Jesus war und ist im ethnischen Sinne Jude, aber nicht im religiösen, denn dann müßte er ja zu sich selbst als Messias Nein gesagt haben, dann hätte er von sich sagen müssen: Ich bin nicht der Messias, die Wahrheit und das Leben"

1Vgl: Rosenberg, A., Der Mythos des 20.Jahrhunderts, 17-20.Auflage, S.76, Fußnote.
2Rosenberg, a.a.O. S.76, Fußnote.
3Vgl: Josph Ratzinger, Benedikt XVI.,Jesus von Nazareth II, 2011, S.45f.
4Ratzinger, a.a.o., S.45f.

5Ratzinger, a.a.O., S.46.

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