Montag, 3. November 2014

Ein Beitrag zur problematischen Tendenz zur Allversöhnung

Gott ist die Liebe-der Untergang der Religion?
Über ein gravierendes Mißverständnis einiger modernistiscer Theologieansätze

Liebe, was ist das? „Das Wort „Liebe“ ist im Laufe seiner Geschichte entsetzlich mißbraucht, verflacht und inflationär entwertet worden. Aber es gibt kein besseres Wort für den biblischen Gott.“urteilt Menke.1 Was sollen wir nun unter der Aussage, Gott ist die Liebe, nach Menke verstehen? Liebe bedeutet in der Bibel: „die unbedingte Anerkennung des Anderen.“2 Für den Menschen heißt dies die Erfahrung des unbedingten Geliebtwerdens durch Gott: „Ignatius erfährt eine ungeheure Befreiung, weil er sich unbedingt (ohne Bedingung oder Voraussetzung) geliebt weiß.“3 Der Mensch Jesus ist der, dem der trinitarische Gott die unbedingte Anerkennung des Anderen als des Anderen mitgeteilt hat und der diese unbedingte Liebe nun selbst weitervermittelt.4

Warum sich mit dieser auf den ersten Blick recht eigenwillig daherkommenden Definition von der Liebe Gottes beschäftigen? wird jetzt so mancher Leser sich nicht zu Unrecht fragen. Zumal dieses Verständnis von der Liebe Gottes in der heutigen Zeit nicht singulär ist. So kann P. Platzbecker Gottes Offenbarung so bestimmen: „Offenbarung aber, so wurde oben ausgeführt, ist notwendig ein Geschehen. Sofern in jedem Geschehen unbedingter Liebe der Liebende selbst und als er selbst anwesend ist und in seinem unbedingten Entschluss für den anderen nicht irgendetwas, sondern eben sich selbst ihm mitteilt, kann man ein solches Geschehen als Selbtoffenbarung charakterisieren, sind Subjekt und Inhalt der Mitteilung identisch.“5 Triumphierend konstatiertPlatzbecker: „Damit ist das traditionell- instruktionstheoretische Offenbarungsmodell schon im Ansatz überwunden.“6 Weil Gott die Liebe ist, die unbedingt den Menschen als Menschen (das Andere von Gott) anerkennt und Gottes Offenbarung und Offenbaren nur dies zum Inhalt hat, daß Gott die den Menschen unbedingt Anerkennung ist, hat die Offenbarung Gottes keinen anderen
Inhalt als den der unbedingten Anerkennung als Liebe. Mit dieser anfänglich so harmlos daherkommenden Definition der Liebe Gottes soll somit die gesamte vorkonziliare Theologie, die Gottes Offenbaren als Offenbarung von übernatürlichen Wahrheiten verstand, eskamotiert werdenzugunsten eines psychologisch fundierten Offenbarungsverständnisses: was Erikson noch unter dem Begriff des Urvertrauens explizierte wird hier im Gewande moderner Intersubjektivitätsphilosophie als die wechselseitige unbedingte Anerkennung des Anderen als Anderen expliziert. Unter dem Terminus der Anerkennung des Anderen als Anderen ist dabei zu verstehen, daß damit ausgeschlossen werden soll, daß der Mitmensch nur dann anzuerkennen ist, wenn er sich dem,Anerkennenden anähnelt, wenn er ihm zum Bruder wird; nein, er soll, so wie er ist ohne einen Aufruf zur Veränderung und Umkehr gerade in seiner Differenz zum Anerkennenden bejaht werden. Gott erkennt jeden Menschen so an, wie er ist und diese Anerkennung gilt dem Menschen objektiv, unabhängig davon, wie er sich selbst noch einmal kontingent zu ihr verhält.

Und spätestens jetzt gilt es, aufzumerken: nicht nur wird so das traditionelle Offenbarungsverständnis eskamotiert, daß Gott übernatürliche Wahrheiten offenbart und nicht nurdie Erkenntnis Gottes sondern auch den ordo salutis als etwas von der Gotteserkenntnis Verschiedenes, sondern nun wird auch die gesamte katholische Gnadenlehre liquidiert! Es ist kein Zufall, daß Menke gleich nach seiner Ignatiusinterpretation auf M.Luther verweist, um die prinzipielle Gleichheit beider in ihrer Erfahrung der unbedingten Liebe Gottes zu betonen!7

Es soll nun im folgenden die Verdachtsthese expliziert werden, daß faktisch unabhängig von den offiziellem Dialog zwischen der Katholischen Kirche und dem Protestantismus über die Frage eines Konsenses in der Frage der umstrittenen Rechtfertigungslehre, es jetzt eine ökumenische Einheitsrechtfertigungslehre gibt, deren Zentralbegriff (in unendlichen Variationen dargereicht) derder unbedingten Anerkennung des Anderen ist, traditioneller formuliert, der Begriff der unbedingten Liebe. Dieser Begriff wird weder der Katholischen noch der Reformatorischen Lehre gerecht und ist eigentlich als radical naturalistischer Pelagianismus zu begreifen. Und diese fatale Verständnis der Liebe Gottes destruiert die christliche Religion vollkommen, indem de facto ein dem Menschen gleichgültig gegenüberstehender Gott verkündigt wird. Anders gesagt: in diesem Verständnis triumphiert der Indifferentismus, der Glaube an die Gleich-Gültigkeit aller Religion. Selbstredend hat das Folgen für die Liturgie: einem gleichgültigen Gott kann kein Gottesdienst gefeiert werden und das hat zur Konsequenz, daß der gottesdienstliche Kult zu einer bloßen Veranstaltung zugunsten der Gemeinde wird und er seines theozentrischen Gehaltes so beraubt wird. Wird aber die Hl. Messe anthropzentristisch verstanden, ist es gleichgültig, ob die alte oder die neue Messe gefeiert wird, wenn nur noch gefragt wird, in welcher man sich besser fühle, sich besser einbringen könne etc.

Aber langsam, Schritt für Schritt.

Im katholischen Gesangbuch, Gottesdienst des Jahres 1950 war noch unter der Überschrift: „Grund-
wahrheiten unseres Glaubens“ als vierte und fünfte zu lesen: „Gott belohnt das Gute und bestraft das Böse. Ewige Seligkeit oder ewige Verdammnis wird das endgültige Geschick der unsterblichen Seele sein.“8 Wie verhalten sich nun diese zwei letzten Grundwahrheiten des Katholischen Glaubens zur Vorstellung, daß Gott den Menschen unbedingt liebt? Es fällt auf, daß im jetzt gültigen Katechismus in der Explikation der Aussage: „Gott ist Liebe“ die Näherbestimmung dergöttlichen Liebe als „unbedingte“ nicht anzutreffen ist.9 Auch findet sich diese Näherbestimmung in keinem der im DH aufgeführten verbindlichen Texte der Kirche. Nicht, die Aussage, daß Gott die Liebe ist, ist etwas Neues, oder wieder neu Entdecktes, sondern die Bestimmung als unbedingte Liebe ist das Problematische.

Kann von einer unbedingten Liebe noch prädiziert werden, daß sie das Gute belohnt und das Böse bestraft? Zu fokusieren ist dabei diese Frage auf dieses Problem: kann von Gott als unbedingte Liebe noch ausgesagt werden, daß er den Sünder bestraft? Wenn Liebe zu einem Menschen ein ihn bestrafen nicht grundsätzlich ausschließt, denn es wird wohl niemand behaupten wollen, daß jedeelterliche Strafe dem Kinde gegenüber unvereinbar sei mit ihrer Liebe zum eigen Kind, so schließt eine unbedingte Liebe die ewige Bestrafung aus. Man kann nicht sagen, daß Gott den ewig Verurteilten liebt und ihn doch ewig vom Reich Gottes ausschließt. In der Aussage, daß Gott unbedingt liebt, ist somit eine Tendenz zur Allversöhnung mitgesetzt. Eine Liebe, die differenziert zwischen gut und böse und den Guten mit dem ewigen Leben und den Bösen mit der ewigen Bestrafung belohnt ist somit durch die Qualifizierung der Liebe als unbe-dingte ausgeschlossen. Ihre Unbedingtheit verbietet so eine Differenz und somit wird es fragwürdig,ob, wenn Liebe und Strafe sich nicht wechselseitig ausschließen, die unbedingte Liebe noch diese Differenzierung zuläßt, daß Gottes Liebe das Gute belohnt und das Böse bestraft.

Lassen wir uns zur Veranschaulichung einen (wie immer hinkenden) Vergleich wagen: Gott liebt wie die Sonne ihr Licht ausstrahlt. Das Unbedingte der Liebe wäre dann, daß die Liebe Gottes sichüber alle Menschen ausgösse wie das Sonnenlicht über alle Menschen. Licht und Liebe machten keinen Unterschied zwischen guten und bösen Menschen. Das göttliche Licht gibt jedem Liebe, unabhängig davon, wie er sich zur Liebe Gottes verhält. Dieser so gedachten göttlichen Liebe wohnt so ein Indifferentismus inne.
Traditionell wird der Gedanke Gottes inertrinitarisch gedeutet als das Selbstverhältnis Gottes und in der ökonomischen Trinität als der universale Heilswille Gottes. Gottes Liebe zu den Menschen ist, daß er das Heil aller will als Partizipation der Menschen an der Liebe Gottes. Der universale Heilswille schließt die Setzung von Konditionen, welche Bedingungen muß ein Mensch erfüllen,(unabhängig davon, ob er selbst als Hervorbringer dieser Konditionen beansprucht wird oder ob sie als Gnadengaben Gottes expliziert werden), nicht aus, sondern ein: Gottes Liebe äußert sich gerade in dem Offenbaren des Weges zum Heil, auf dem der Mensch sein Ziel erreichen kann. Der Ordo Salutis ist so gelesen integraler Bestandteil der göttlichen Gnadenoffenbarung im Kontrast zum Verständnis der Offenbarung als reiner Selbstoffenbarung Gottes, in der Gott sich selbst nur noch als die Liebe offenbart und heilsgenügsam selbst vermittelt.

Die Ablehnung des instruktionstheoretischen Offenbarungsverständnisses verbunden mit der These,daß Gott sich selbst als unbedingte Liebe dem Empfänger der Offenbarung vermittelt, läßt so
die Offenbarungslehre und die Soteriologie in einsfallen. Die Lehre von der unbedingten göttlichen Liebe, die sich im Offenbarungsgeschehen selbst vermittelt macht so jede Soteriologie als selbstständige Disziplin überflüssig. Den Prototyp dieser Konzeption ist in Karl Barths heilsobjektivistischen Kirchlichen Dogmatik entfaltet und hat von dort aus verhängnisvoll in die Katholische Theologie eingewirkt.

Gaudium et spes sagt in verdächtiger Nähe zur Allversöhnung: Denn er, der Sohn Gottes, hat sich in seiner Fleischwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt.“10Papst Johannes Paul II in seiner Weihnachtsansprache vom 22.Dez. 1986 führte das so aus: Christus „habe sich in seinerMenschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt, auch wenn dieser sich dessen nicht bewußt ist.“11 Papst Johannes XXIII hatte gesagt: „Alle Menschen, die geboren werden, sind auch ihrerseits durch das Blut Christi erlöst.“12 Treffend kommentiert dies Barth: „Jegliche Differenzierung zwischen Suffizienz und Effizienz, zwischen Angebot und Wirksamkeit der Erlösung für den einzelnen Menschen unterbleibt hier.“13
Bei Karl Rahner liest sich das so: „Dadurch, dass das Wort Gottes Mensch geworden ist, ist realontologisch die Menschheit auch schon im voraus zur faktisch gnadenhaften Heiligung der einzelnen Menschen, zum Volk der Kinder Gottes geworden.“14 Hier soll nun nicht diese Aussage von Gaudium et spes und ihre Rezeptionsgeschichte diskutiert werden, sondern es soll sich fokusiert werden auf das Gemeinsame des Theologumenas einer unbedingten Liebe Gottes und der Vorstellung einer objektiv schon in Christus geschehenen Versöhnung des Menschen. Barth führt als Folge eines objektivistisch verstandenen Heiles: „Missionsarbeit heißt daher im wesentlichen, die Tatsache des Erlöstseins den Menschen bewußt zu machen, nicht etwa sie überhaupt erst zu ihrem Heil zu führen.“15 Das gilt aber für das gesamte Tun der Kirche: Sie vermittelt kein Heil, sondern sie stellt nur da, was objektiv allen gilt, das Heil für alle. Nicht vereinzelte Stimmen sondern dem Eindrucke nach, ein ganzes Herr von Theologen scheint auf den Pfaden der Allversöhnungslehre zu wandeln und kommen ihr dabei bedenklich nahe.

Das Theorem der unbedingten Liebe, bzw. unbedingten Anerkennung des Anderen als Anderen ist so gelesen die einfachste Fassung eines reinen Heilsobjektivismuses, die die Notwendung jeder Art von Vermittlung des Heiles durch Wort und Sakrament ausschließt. Denn auch ein Nichtwissen um das objektive Heil schließt nicht von diesem Heile aus: der Unwissende weiß eben nicht, daß erschon längst erlöst ist.

Platon eruiert drei Bedingungen für eine lebendige Religion. Es muß geglaubt werden, daß Gott ist,daß er nicht indifferent sich zu den Menschen verhält und daß es nicht leicht ist, die Gunst Gottes für sich zu gewinnen16. Offenkundig sagt hiermit der Philosoph das, was einst ein Katholisches Gesangbuch als sie Grundwahrheiten des Glaubens beurteilte. Wenn Gott vorgestellt wird als unbedingt Liebender, dann ist es dem Menschen gar nicht mehr möglich, Gottes Gunst zu verlieren.Gilt, daß Gott jeden Menschen unbedingt liebt, kann nicht ausgesagt werden, daß ein Mensch, wenn er eine bestimmte Bedingung erfüllt, nicht mehr von Gott geliebt wird.

In den „Betrachtungen über die Todsünde“ in dem mariologischen Erbauungsbuch: „Maria, meineZuflucht“ hieß es 1919 noch: „Arme Seele, weißt du es denn nicht, wer nun dein Feind ist? -Gott selber! Weißt du, wessen Kind du nun bist?- Des Teufels.“17 Hier hat die Todsünde reale Folgen fürdas Gottesverhältnis, weil das Verhalten Gottes zu den Menschen kein unbedingtes ist, sondern eines, das kontingent auf das Verhalten des Menschen reagieren kann. Unbedingte Liebe heißt dagegen, daß die Liebe Gottes zum Menschen sich indifferent zum Verhalten des Menschen zur unbedingten Liebe Gottes sich verhält. Der Mensch kann sündigen so viel er will, nie hört er auf, nie kann er aufhören, das Objekt der göttlichen Liebe zu sein. Der Katholische Katechismus sagt noch aus: „Wir können nicht mit Gott vereint werden, wenn wir uns nicht freiwillig dazu entscheiden, ihn zu lieben.“18 Genau diese Notwendigkeit der freien Annahme der Liebe Gottes wird bestritten in dem Heilsobjektivismus. Wenn es aber gar nicht mehr vorstellbar ist, daß der Mensch Gottes Liebe verlieren kann, dann ist die Aussage, Gott ist die unbedingte Liebe nicht mehr von einem indifferent sich den Menschen gegenüber verhaltenen Gott unterscheidbar. Denn es gilt nun: Gott liebt immer, egal wie der Mensch sich verhält,ob er gut oder böse lebt. So verrückt es klingt: aber das Urteil: ist kein Gott, ist Alles erlaubt und das Urteil: Gott ist die unbedingte Liebe,deshalb ist Alles erlaubt, führen beide in den selben Abgrund des Nihilismuses! Und ein solcher Nihilismus ist das Ende jeder Religion.


H.-L.Barth beschreibt in seinem Papstbuch Johannes Paul II die Negativfolgen dieser Tendenz zur Allerlösungslehre im Pontifikat dieses Papstes.19 Daß der theologische Hintergrund des interreligiösen Dialoges mit seinem Höhepunkt, dem Treffen zu Assisi eine Neigung zu einer Allerlösungslehre ist, ist unbestreitbar20 Aus dem: kein Heil außerhalb der Kirche wird zusehens die Meinung, daß alle Religionen Wege zum Heil sind. Kardinal Ratzinger konstatierte schon 1966:„Was die großen Missionare zu Beginn der Neuzeit in die Welt hinausgetrieben hat und sie mit heiliger Unruhe erfüllte, war das Bewußtsein, daß nur in Christus Heil ist und daß die unermeßlichen Millionen von Menschen, die plötzlich vor dem Horizont aus unbekannten Welten aufgetaucht waren, rettungslos ewigem Verderben preisgegeben seien ohne die Botschaft, die als ein heiliges Muß auf den Gläubigen lastet... Inzwischen hat sich immer mehr eine Vorstellung durchgesetzt, die vordem nur als seltene Ausnahme angesehen worden war, daß nämlich Gott außerhalb der Kirche, wenngleich nicht letztlich ohne sie, retten will und kann. Dazu wird neuerdings ein optimistisches Verständnis der Weltreligionen vorgetragen, dessen Betrachtung freilich wieder einmal deutlich machen kann, daß nicht alle Lieblingsgedanken der modernen Theologie auch biblisch geprägt sind.“21 Exemplarisch sei dies an Schlettes Verhältnisbestimmungder Religionen zur Katholischen Kirche veranschaulicht: „Wenn die Religionen die Heilswege der allgemeinen Heilsgeschichte sind, dann sind sie die allgemeinen Heilswege, und wenn gegenüber der allgemeinen Heilsgeschichte die Kirche -wie wir sahen- als specialis dispositio auf der Seite der speziellen Heilsgeschichte steht, dann darf man den Weg der Religionen als den ordentlichen und den Weg der Kirche als den außerordentlichen Heilsweg bezeichnen.“22 Hier wird nicht nur die Gleichwertigkeit aller nichtchristlichen Religionen mit der Kirche doziert, sondern den nichtchristlichen Religionen sogar das Privilegium zugesprochen, der von Gott gewollte ordentliche Heilsweg zu sein. Jede Religion kann ihren Anhängern Heil vermitteln und so ist die Kirche streng genommen für das Heil der Menschen überflüssig.

Es führen also verschiedene Wege zur modernistischen Vorliebe zur Allversöhnung. Bekannt ist der der Nivilierung aller Religionen im religiösen Indifferentismus. Alle Religionen sind Wege in den Himmel, wäre die Parole dieser religiösen Nivilierung. Den Hintergrund bildet die Spannungzwischen dem Heilsuniversalismus Gottes und die Partikularität der wahren Religion. Diese Spannung, daß Gott das Heil aller will, daß aber nicht alle Glieder der wahren Kirche sind, soll entspannt werden durch die These, daß faktisch jede Religion ein Weg zu Gott ist und daß selbst ein Atheist, lebt er gemäß seinem Gewissen, auf dem rechten Weg zu Gott sein kann. Daraus kann dann die Theorie des anonymen Christen generiert werden, daß faktisch jeder sittlich Lebende schon ein Christ ist, der so unbewußt zwar der wahren Kirche angehört und so ein Kandidat des ewigen Lebens ist.

Weniger bekannt ist nun der Weg der Revision der Gotteslehre. Gott ist liebe wird ausgelegt als:Gott liebt unbedingt jeden. Diese unbedingte Liebe kann nun als die notwendige und hinreichende Bedingung für das Heil des Menschen verstanden werden. Die christliche Religion vermittelt somit nur eine Erkenntnis, die unabhängig davon, ob sie angenommen oder verneint wird, wahr ist. Das Heil, das ewige wird zu einer objektiven Tatsache, die zwar nur partikular geglaubt wird, die aber universal wahr ist. Jetzt löst sich die Spannung zwischen dem Heilsuniversalismus und der Partikularität des Glaubens durch den theozentrischen Begriff der unbedingten Liebe: objektiv ist der Heilsuniversalismus Gottes und partikular ist nur die zum Heil nicht notwendige Erkenntnis des Heilsuniversalismuses Gottes.

Platon urteilt: „Wer den Gesetzen gemäß glaubt, daß die Götter sind, beging nie wieder eine gottlose Handlung freiwillig noch ließe er eine gesetzwidrige Rede vernehmen, sondern nur wenn von den dreien eines ihm begegnete, daß er entweder das, was ich jetzt sagte, nicht glaubt, oder zweitens, daß die Götter sind, aber sich nicht um die Menschen kümmern,oder drittens, sie seien leicht, durch Opfer und Gebete gewonnen, zu beschwichtigen.“23 Der Glaube, daß Gott ist und sich different zu den Menschen verhält, kirchlicher ausgedrückt, daß er das Gute belohnt und das Böse bestraft, ist nach Platon die Grundlage der Sittlichkeit. Erst von daher wird verständlich, warum derAtheismus in den Verruf geriet, mit Amoralität in eins zu gehen. Wenn Gott nicht ist, dann ist alles erlaubt. De Sade literarisches Werk, in antirousseauischer Intention geschrieben, veranschaulicht dies in gröbster und radicalster Weise. Was aber nicht so offenkundig ist, ist das Phänomen, daß die Reduktion Gottes auf einen reinen Liebesgott, der nur noch unbedingte Liebe ist und sonst nichts, selbst aus sich heraus eine Tendenz zum Amoralismus freisetzt! Amerio konstatiert treffend: Wenn nämlich die Apokatastasis- Theorie des Origenes stimmen würde, wären Jungfräulichkeit und Prostitition dasselbe; wäre die Vergangenheit gleichsam annulliert, denn dann spielte nicht eine Rolle, was wir waren, sondern was wir sein werden.“24 Die Lehre von der Allversöhnung nichtet alle Differenzen, auch und gerade die zwischen Gut und Böse.

Scharf pointiert gefragt: kann ein Zusammenhang bestehen zwischen dem Phänomen, daß viele Katholiken Abtreibung nicht nur theoretisch bejahen sondern sie auch praktizieren, ja das die Organisation: Donum vitae fast ausschließlich aus Katholiken besteht, und der Lehre, Gott ist nur Liebe, unbedingte Liebe bestehen? Untergräbt selbst innerkirchlich der auf reine Liebe reduzierte Gott die katholische Moral? Einfacher gefragt: wenn Gott nie aufhört, den Menschen zu lieben, dann mag der Gläubige sich noch so sehr zu einem sittlichen Leben verpflichtet wissen, er kann doch darauf vertrauen, daß keine von ihm begangene Sünde ernsthafte Folgen für ihn haben kann! Er bleibt immer in der Liebe Gottes. Nicht, daß unmittelbar aus dem reinen Liebesgott ein unmoralischer Lebenswandel entspränge, nein, aber der Sittlichkeit wird der tiefe Ernst genommen. Das unsittliche Handeln kann zwar noch negative Folgen für den Täter oder auch für Opfer zur Folge haben, das Gottesverhältnis wird aber nicht tangiert und das macht die Sünde leicht. Die leeren Beichtstühle sind die erste Folge solcher Gottesverkündigung.

Zur Veranschaulichung soll so eine kleine Episode aus einer Religionsstunde an einem Gymnasium
in einer höheren Klasse erzählt werden. Der Religionslehrer hatte just in gut liberaler Manier den Gott der unbedingten Liebe den Schülern vorgetragen. Gott sagt immer zu dir ja, auch wenn du versagst oder schuldig wirst. Nie hört er auf, dich zu lieben. Ein Schülerin frug: Wenn das wahr ist, ist es dann Gott nicht gleichgültig, wie ich lebe, sittlich oder unsittlich? Der irritierte Lehrer respondierte, daß der von Gott sich geliebt Wissende selbst zu einem seinen Nächsten Liebenden würde. Aber wenn er das nicht wird, macht es auch nichts, denn Gott liebt ihn ja unbedingt, wußtedie Schülerin zu antworten. Und sie zog eine erstaunliche Konsequenz: wenn ich überlege, wie ich mich in einer bestimmten Situation zu verhalten habe, brauche ich auf Gott keine Rücksicht zu nehmen, weil ihm mein sittliches Verhalten gleichgültig ist! Ich kann tun, was ich will, immer wird er mich lieben. Das war das faktische Ende einer Religionsunterichtsstunde und auch der christlichen Religion. Arthur Moeller van den Brucks bekanntes Votum: „Am Liberalismus gehen die Völker zu Grunde“ abändernd kann gesagt werden: am liberalistisch gedachten Gott der unbedingten Liebe geht die Religion und jede Sittlichkeit zu Grunde. Ein kleiner Irrtum am Anfang und seine fatalen Folgen. .
1Menke, K-H., Handelt Gott, wenn ich ihn bitte? 2001 2.Auflage S.17.
2a.a.O. S.17f.
3a.a.O. S.63.
4Vgl: Menke, K.H. Die Einzigkeit Jesu Christi im Horizont der Sinnfrage 1995 S.169.
5Platzbecker, P. Radikale Autonomie vor Gott denken 2003 S.118.
6a.a.O. S.118.
7Vgl: Menke, K-H., Handelt Gott, wenn ich ihn bitte? 2001 2.Auflage S.63.
8Gottesdienst, Gebets- und Gesangbuch für das Erzbistum München und Freising München 1950 S.15.
9Vgl: Katechismus der Katholischen Kirche 1993 Nr. 218- 221.
10DH 40.Auflage 4322.
11Zitiert nach: Ökumene gegen Herz Mariä Weihe 2004 S.79.
12Zitiert nach: Barth, H.-L.,Keine Einheit ohne Wahrheit 1999 S.125.
13Barth, H.L.,Keine Einheit ohne Wahrheit 1999 S.125.
14Zitiert nach: Barth, H-L, Rahners Theorie vom „anonymen Christentun“, „Gaudium et spes“ 22 des II Vatikanums und die Lehre Papst Johannes Pauls II. In: Karl Rahner Kritische Annäherungen 2004 S.390.
15Barth,H-L., Papst Johannes Paul II 2007 S.60.
16Platon; Nomoi X, 885b.
17Sintzel, M., Maria, meine Zuflucht 1919 S.675.
18Katechismus der Katholischen Kirche 1993 1033.
19Vgl: Barth, H.-L. Papst Johannes Paul II 2007 S.62- 67.
20Vgl: Barth, H.-L.Papst Johannes Paul II S. 105- 134.
21Zitiert nach: Barth, H.-L. Papst Johannes Paul II S.132f.
22Schlette, H.R., Die Religionen als Thema der Theologie. Überlegungen zu einer Theologie der Religionen QD 1964
22 S.85.
23Platon Sämtliche Werke 6 Nomoi 1984, Übersetzung Hieronymus Müller S.245.

24Amerio, Romano Joto Unum 2000 S.684.

1 Kommentar:

  1. Die Apokatastasis ist ein s ü ß e s Gift für den Gottesglauben. So etwas kann nur einer brauen: der Vater der Lüge... :-( - Danke für den Beitrag. Gruß. Windlicht

    AntwortenLöschen