Freitag, 17. Oktober 2014

Mein Tod, was ist das?

Der verschwundene Tod

„Wir sind um ein Interesse ärmer geworden: das „Nach-dem Tode“ geht uns nichts mehr an! -eine unsägliche Wohltat, welche nur noch zu jung ist, um als solche weit- und breithin empfunden zu werden.-Und von neuem triumphiert Epikur!“1 Epikur, das meint: wenn ich bin, ist der Tod nicht und wenn der Tod ist,bin ich nicht. Weil der Tod die reine Nichtung des Iches ist, kann es meinen Tod nicht geben. Es gibt nur andere, die von mir aussagen, daß ich tot sei, aber das ist nicht mein Tod. So schrieb es Friedrich Nietzsche in seinem Werk: „Morgenröte. Gedanken über die moralischen Vorurteile“. Der Tod ist für diesen Denken ein Problem der Moral.

Konstitutiv für die christliche Moral ist die Vorstellung eines Lebens nach dem Tode. Dort wo der Trieb zum Leben allein noch nicht stark genug sei,um die Vorstellung eines ewigen Lebens als Verheißung zu empfinden, ja wo die Vorstellung eines endgültigen Todes als gleichwertige Verheißung zur Vorstellung eines ewigen Lebens empfunden wurde, dort wurde die „neue Lehre, daß auch der Sünder und Unerlöste unsterblich sei, die Lehre vom Ewig-Verdammten“2 entworfen.Zweiseitig ist so die Vorstellung der Unsterblichkeit: ewiges Leben oder ewiges Verdammtsein. Genau diese Zweigesichtigkeit der Vorstellung vom „Nach-dem-Tode“ konstituiert nun die christliche Moral. Denn die christliche Moral ist in ihrem Kern eine Lohn/Strafe-Moral. Als „Grundwahrheiten unseres Glaubens“ bekennt 1950 noch das offizielle Gebet-und Gesangbuch des Erzbistum München und Freising: „Gott belohnt das Gute und bestraft das Böse. Ewige Seligkeit oder ewige Verdammnis wird das endgültige Geschick der unsterblichen Seele sein.“3

Die Konstitutiva sind klar: die Vorstellung von der unsterblichen Seele, die so es denkmöglich macht, daß von mir ewiges Leben oder ewiges Verdammtsein ausgesagt werden kann, wobei das Ich als sich identisch bleibendes Subjekt der Garant dafür ist, daß es meinen Tod, mein ewiges Leben und meine ewige Verdammnis geben kann. Nietzsche will nun dieses Ich negieren, indem er den Tod im Geiste Epikurs als reine Nichtung des Iches vorstellt.

Fällt die Vorstellung einer postmortalen Belohnung oder Bestrafung aus, dann würde nach Nietzsche der christlichen Morallehre ihr Fundament entzogen. Ja, nicht einmal die Verheißung des ewigen Lebens auf sich allein gestellt, reichte zur Fundierung der Moral aus. Denn wo der Trieb zum Leben nicht sehr stark sei, da wird die Aussicht auf Unsterblichkeit nicht selbstverständlich als wertvoller als die eines endgültigen Nichtmehrseins, des Todes erachtet werden. Nebenbei: Für Nietzsche ist die „Lohn-und Straf-Lehre“ nachträglich durch Paulus und die Kirche in die Verkündigung Jesu in ganz absurder Weise hineingemengt worden.4 Damit radikalisiert Nietzsche die protestantische Kritik der kirchlichen Tradition im Namen der alleinigen Autorität der Hl. Schrift, indem er nun selbst die Schrift als kirchliche Verfälschung des eigentlichen Wollens Jesu destruiert.

Daß das ewige Leben im Himmel vielleicht gar nicht so beglückend sei, als daß es erstrebenswert wäre, dafür hier auf Erden die Kreuzesnachfolge Christi anzutreten, dieses Gerücht hat nicht erst mit Ludwig Thomas Satire: Ein Münchner im Himmel“ seine Anhänger gefunden. Schon Jean Paul schreibt in seinem Vorspiel des Titan, „Der Traum der Wahrheit“ „Aprodite, Aglaja, Euphrosyne undv Thalia sahen einst in das irdische Helldunkel hernieder und, müde des ewig heiteren,aber kalten Olympos, sehnten sie sich herein unter die Wolken unserer Erde, wo die Seele mehr liebt, weil sie mehr leidet, und wo sie trüber, aber wärmer ist.“5
Man kann und darf wohl vermuten, daß das Nachlassen des Triebes zum Leben, lohnt es sich denn, zu leben, wäre es nicht besser, erst gar nicht geboren zu sein?-dieser Frage widmet Lütkehus ja sein großes Werk: „Nichts“-eine Manifestation kultureller Dekadenz ist. Das Leben ist sich fragwürdig geworden und bedarf einer Selbstrechtfertigung: warum ist es oder wäre es nicht besser, nicht zu sein? In einem solchen geistigen Klima stößt die Verheißung ewigen Lebens nicht mehr auf offene Ohren und wenn gar der Preis für den Eintritt in dieses Leben die Kreuzesnachfolge ist, dann rechnet der moderne Mensch: lohnt sich das? Dostojewskijs Iwan wolllte seine Eintrittsbillet in das ewige Leben um des Leidens eines einzigen unschuldigen Kindes zurückgeben: wenn das Leid auch nur eines Kindes notwendig sei für das ewige Leben, dann will er auf dieses ewige Glück verzichten. Sagte Paulus noch, daß all das irdische Leiden nichts sei angesichts der Überfülle der Verheißung des ewigen Lebens, so widerspricht hier jetzt nicht nur Dostojeskijs Iwan. Wird in der zeitgenösischen Predigt, wenn denn überhaupt noch das Thema des ewigen Lebens angesprochen wird, der Schwerpunkt auf die Verheißung einer ewigen Gemeinschaft mit Gott gelegt, so muß konstatiert werden, daß den meisten Zeitgenossen, denen in ihrem Erdendasein Gott eine gut verzichtbare Größe ist, diese Verheißung auch nicht begeistern wird. Weder ewiges Leben noch ewige Gemeinschaft mit Gott, lieber ewig seine Ruhe im Tode. Oder anschaulicher: Todsein, ist,wie am Sonntagabend zu Bette zu gehen, einzuschlafen und nie wieder durch einem Morgenwecker aus dem Schlafe gerissen zu werden.

Seit dem die Vorstellung der ewigen Verdammnis in der praktischen Verkündigung der Kirche nicht mehr vorkommt, erfreut sich auch unter Christen die epikureische Vorstellung zunehmender Beliebtheit: Todsein, dann ist einfach alles aus, man hat seine Ruhe. Daß der Tod so wahrgenommen werden kann, hat seinen tiefsten Grund im Verschwinden von der Vorstellung von der unsterblichen Seele.

Aber mit diesem Verlust löst sich auch das Fundament der christlichen Moral auf. Es wird fragwürdig, ob Gott wirklich die Guten belohnt und die Bösen bestraft. Daß in unserem Erdendasein diese Gerechtigkeit Gottes nicht erfahren wird, ist schon dem Prediger Salomos zum Problem geworden, das erst in der Ausrichtung auf ein eschatologisches Endgericht seine adäquate Lösung fand. Fällt diese Vorstellung aber aus, dann besteht die Gefahr der Auflösung aller christlichen Ethik Denn sie ist ja keine Lehre vom guten Leben in dem Sinne, daß, wer christlich lebt, auf Erden besser und schöner lebt als der Nichtchrist.

Nietzsche beweist ein gutes Gespür für die Achillesferse der christlichen Morallehre: ihre eschatologische Ausrichtung, ausgehend von der Reich Gottes- Verkündigung Jesu, steht und fällt mit der Vorstellung, daß ich am ewigen Leben postmortal partizipieren kann und daß es für mich das höchste Ziel ist, dieses ewige Leben zu erreichen. Und für diese Vorstellung ist der Begriff der unsterblichen Seele konstitutiv. Wird er aufgegeben,entschwindet der gesamte Vorstellungskomplex von einem postmortalem Danach im Hoffen auf ein bloßes: Nichts mehr.

Aber, das war nun zu vorschnell gedacht.

E.Jüngel hat in seinem Werk: „Der Tod“ eine beachtenswerte Betrachtung zum Verständnis des Todes vorgelegt, die hier nun für diese Erwägung fruchtbar gemacht werden soll. Dabei wird sich zeigen, daß gerade die Schwäche dieser Konzeption, der nicht ausreichend begründete Abschied von der platonischen Idee der unsterblichen Seele diese Konzeption selbst dekonstruiert und so als Alternativhoffnung entgegen der Autorenintention die Vorstellung eines natürlichen Todes freisetzt. Der natürliche Tod impliziert dabei notwendig die These Epikurs, daß es meinen Tod nicht geben kann, weil der Tod die pure Nichtung ist.

Unter Tod versteht Jüngel, und damit wird er dem Gesamtzeugnis der Hl.Schrift gerecht, daß der Mensch ohne Beziehung zu Gott lebt. Der ewige Tod ist dann die Perpetuierung dieser Beziehungslosigkeit des Menschen zu Gott. Mit diesem Verständnis von Tod kann dann auch die Rede vom Tode des Menschen in seiner Sünde gerecht werden und gegen Jüngel kann dann auch der ewige Tod begriffen werden. Nicht, daß Gott keine Beziehung zum Toten oder zum Todsünder hätte, nur daß diese nicht die der göttlichen Liebe ist. Er steht unter dem Zorne Gottes, aber immer auch unter der Verheißung, daß Gott nicht den Tod des Sünders will, sondern daß er umkehre, um zu leben. Ein solch relationsontologisches Verständnis vom Tod wird dann auch der Aussage, daß Gott das Leben ist, gerecht, insofern nun vom menschlichen Dasein ausgesagt werden kann, daß es nur ob seiner Teilhabe an diesem wahren Leben Leben ist. Die Todsünde ist die Nichtung diese Lebensbeziehung. Damit dies aber auch gedacht werden kann, muß der Mensch als Subjekt noch einmal von seiner Relation zu Gott unterschieden werden: er ist nur relationsfähig als Substanz mit Subjektcharakter. Dies vernachlässigt Jüngel, so daß er vom Gestorbenen nicht mehr aussagen kann, daß er relationslos zu Gott ist, da er, der protestantischen Vorstellung vom Ganztod folgend, den Tod als reine Nichtung des menschlichen Subjektes denkt. Wo kein menschliches Subjekt mehr ist, wenn der Tod verstanden wird als reine Nichtung, da kann weder der Tod dieses Menschen als sein Tod noch sein Tod als Beziehungslosigkeit zu Gott gedacht werden.

So paradox es klingt: nur, wenn vom Menschen Unsterblichkeit prädiziert wird, kann von ihm sein Todsein gedacht werden: wenn Ich nicht mehr bin, weil der Tod die pure Negation wäre, dann kann auch nicht mein Tod sein, wie treffend Epikur es erfaßte. Die von Jüngel abgelehnte Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele ermöglicht es so erst im Einklang mit Jüngels Intention, den Tod relationsontologisch zu erfassen.

Diese Konzeption könnte auch fruchtbar gemacht werden für die Kreuzestheologie: ist Jesus Christus wirklich am Kreuze gestorben? Die klassische Zweinaturenlehre Christi evoziert hier ja immer notwendigerweise den Verdacht, daß Jesu faktisch nur zum Scheine gelitten hat und gestorben ist, da er ob seiner göttlichen Natur leidensunfähig ist und schon gar nicht sterben kann. Ja, als wahrer Gott hätte er selbst im Kreuzestod nie die innige Verbindung zum Vater verloren.So in der unauflöslichen Einheit mit dem Vater kann schwerlich noch von einem realen Leiden und wirklichem Todsein des Gottessohnes gesprochen werden. Und dann erübrigt sich auch Ostern.Oder es wird reduziert zu der Meinung, daß Ostern offenbare, daß Gott seinen Sohn nie verlassen habe.Jesu Schrei: „mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, wäre dann nur eine pädagogische Äußerung Jesu gewesen, um uns zu lehren, daß auch wir, wenn wir uns in der größten Gottverlassenheit wähnen, nicht von Gott verlassen sind, wie es uns Ostern demonstierte. Nein gerade der unsterbliche Jesus kann den Tod und könnte auch den ewigen Tod erleiden, wäre er nicht von Gott zu Ostern vom Tode erlöst worden, weil er als Unsterbliche die Beziehungslosigkeit zum göttlichen Vater erleiden kann.Sein Tod war sein Sein unter dem Zorn Gottes. Ostern war so die Aufhebung dieses Seins unter dem Zorn und nicht das Offenbarwerden, daß Gott seinen Sohn nie verlassen habe trotz seines Ausrufes seiner Gottverlassenheit.

Daß das Todsein eine Realität ist und nicht nur reine Nichtung, daß ermöglicht erst, sinnvoll von der Erlösung vom Tode zum ewigen Leben und von der Möglichkeit eines ewigen Todes zu sprechen. Ist der Tod nur als eine reine Nichtung vorgestellt, dann evoziert dies die Anfrage, warum dem Nichtsein das Leben vorzuziehen sei. In Zeiten der Dekadenz,. Und das ist das Spezifikum unserer Zeit, ist es eben nicht selbstverdständlich, daß das ewige Leben dem Tode vorzuziehen sei.

Goethe läßt schon in seinem Faust Mephisto sagen: „Ich bin der Geist der stets verneint! Und das mit Recht, denn alles was entsteht Ist werth daß es zu Grunde geht;Drum besser wär´s daß nichts entstünde.“ Seit dem existiert subkutan in der abendländischen Kultur der Diskurs der Biodizee. Nicht mehr der gütige Gott stets angesichts der Übel der Welt auf der Anklagebank, sondern die Theodizee hat sich gewandelt zur Anklage des Lebens. Es sei an Cioran erinnert: „Vom Nachteil geboren zu sein“ und an die von L. Lütkehaus vorgelegte Biodizee: „Nichts“. Man denke an den ersten Satz des „Mathos von Sisyphos“ von A. Camus: „Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem:den Selbstmord. Die Entscheidung, ob das Leben sich lohne oder nicht, beantwortet die Grundfrage der Philosophie.“6 Vorangestellt ist der Betrachtung der Ausspruch Pindars: „Liebe Seele, trachte nicht nach dem ewigen Leben, sondern schöpfe das Mögliche aus.“7

Die Voraussetzung dieser Biodizee ist die Vorstellung des Todes als reine Nichtung. Wenn mein Leben keine schwarzen Zahlen mehr schreibt, wenn es sich nicht mehr lohnt, dann ist der schwarzen Null, dem Nichtsein ein Weiterleben vorzuziehen.Gerade Schopenhauer , der große Pessimist, rekurriert dann auf Epikurs Todesverständnis, um die Option des Nichtmehrseins der eines Weiterlebens begründet vorzuziehen.8 Diese Vorstellung bildet dann auch den Emergenzpunkt für die Vorstellung, daß das Nichtsein, daß nichts wäre ,dem Sein vorziehbar sein könnte.

Und so verschwindet mit der Vorstellung, daß der Tod einfach nur die Nichtung meiner Existenz ist, auch der Tod selbst. Er kann nicht meinen Tod geben und mit mir stirbt mir auch die ganze Welt, alles.Schon im Werke E.Jüngels tritt so in Folge der faktischen positiven Aufnahme des Ganztodverdständnisses von Epikur ein Riß in seiner Konzeption ein. Dem christlichen Leben, das im Tode endet, wird als Ergänzung ein Sein in Gott nach dem Tode hinzugefügt, das aber sich zu diesem Leben nur noch wie ein Nachwort ausmacht, auf das man auch verzichten könnte. Es kündigt sich dabei eine Tendenz an, daß Christus den Menschen nicht vom Tode erlöse, sondern ihn dazu befähige, so wie Abraham, lebenssatt einen natürlichen Tod zu sterben. Hier befreit dann der Tod als ewiges Nichtmehrsein den Menschen von seiner Lebensmüh oder beendet sein Leben wie der Schlußpunkt den zu Ende geschriebenen Roman.

Es ist kein Witz,daß der Verfasser, als er noch Vikar der Reformierten Kirche war, von seinem Ausbildungspfarrer den ernst gemeinten Rat erhielt, auf Beerdigungen nicht von irgendeiner Art von Leben nach dem Tode zu reden, denn solch mythologischen Unsinn glaube heuer niemand mehr!

Erwartet man nun aber von den Befürwortern der Ganztodstheorie eine fundierte Begründung ihrer Abkehr von Platon und ihrer Zuwendung zu Epikur, von dessen jetzigem Triumph Nietzsche zutreffend ausgeht, so wird man enttäuscht. Jüngel vergleicht den Kreuzestod Christi mit dem Tode Sokrates und urteilt, daß ob der Unvereinbarkeit dieser beiden Todesverständnisse der Christ um der Reinheit des christlichem Todesverständnisses willen das philosophische verabschieden müsse. Der Argumentationsfehler dabei ist gravierend: selbstredend stirbt Jesu den Sühnetod und dieser ist zu unterscheiden von dem, wie der gläubige Christ seinen Tod als Heimkehr zu Gott betrachtet.9 Und in diesem Punkte koinzidieren das platonische und das chrisliche Todesverständnis.

Daß die Seele nicht ist, diese vulgärmaterialistische Vorstellung hat trotz der auch heute noch in der Kirche betriebenden Seelsorge selbst in kirchlichen Kreisen ihre Anhänger gefunden. Auch hier waren die Protestanten Vorreiter und auch hier erwies sich das ökumenische Gespräch mal wieder als Einfallstor von Irrtümern und Irrlehren. Rom hat energisch widersprochen: „Die Kirche behauptet die Fortdauer und das Fortbestehen eines geistigen Elementes nach dem Tod, das mit Bewußtsein und Wille begabt ist, so daß das „menschliche Ich“ selbst, in der Zwischenzeit jedoch ohne die Ergänzung seines Leibes, fortbesteht. Um dieses Element zu bezeichnen, verwendet die Kirche den Ausdruck „Seele“, der durch den Gebrauch in den Heiligen Schriften und in der Überlieferung eingebürgert ist.“10.Aber wo wird im deutschsprachigen Raum der Kirche noch auf Rom gehört!

Epikur oder Platon- darauf läuft die Debatte hinaus. Die Katholische Kirche optiert eindeutig für Platon als ihren Hausphilosophen neben Aristoteles. Leicht ist es, anzudemonstrieren, daß, die Wahrheit der Katholischen Lehre vorausgesetzt, die platonische Philosophie als das vernünftige Denken zu stehen kommt, der den natürlichen Wahrheiten der Kirchenlehre und als Vorstufe der übernatürlichen Wahrheiten entspricht. Aber die Philosophie soll ja in sich ruhend, die Wahrheiten der Kirche rein vernünftig denkend fundieren und nicht a posteriori von der Offenbarung her legitimiert werden.

Ein erster Versuch soll gewagt werden: die unbestreitbare Voraussetzung jeder Autobiographie ist die Vorstellung eines sich gleich bleibenden Iches, dem alles Tun und Erleiden so zugeschrieben wird, daß dieses Ich die Einheit aller Ereignisse konstituiert zu der mir eigenen Geschichte. Gäbe es dieses Ich nicht, zerfiel die Geschichte in endlich viele Einzelsätze und das transzendente Ich schaute auf viele Miche, die etwas taten oder erlitten, also aktiv oder passiv waren, und müßte eine Nichtidentität der Miche aussagen. Nur die so urteilende Instanz ist selbst wieder das Ich, das jenseits des Zeitlaufes über alle Ichvorstellungen urteilt. Und dieses Ich ist es auch, daß meint, daß das vorgestellte ich im Tode negiert wird, während es selbst sich jenseits der Differenz von Leben und Tod präsumiert.

Das Unbehagen, das Epikurs Urteil, es gäbe meinen Tod nicht, in dem Leser hervorruft, resultiert wohl aus dem Gefühl der Todesfurcht, das sich als legitimes Gefühl dieser theoretischen Vorstellung widersetzt. Es kann nicht wahr sein, daß dies allzumenschliche Gefühl nur Irrtum ist. Vergegenwärtige ich mir dann die denknotwendige Präsumption jeder autobiographischen Rede, des transzendentalen Iches, das die Serie der Ich-Sätze zu einer Einheit konstituiert,dann ist dieses Ich auch die Voraussetzung dafür, daß der Tod, der mich trifft, zu meinem Tode wird. Das Ich schreibt sich den Tod als den seinigen zu und verbindet dies mit der Vorstellung eines Erleidenszustandes- das Ich erleidet das Todsein und das kann es nur, gerade weil es im Tode nicht genichtet wird. Die alttestamentliche Vorstellung von einem Danachsein in der Sheol drückt dies aus: nicht Nichts sondern ein sein eigenes Todsein Erleiden macht den Tod aus. Das präsumiert ein sich im Sterben und im Todsein durchhaltendes Ichsubjekt. Die Idee der unsterblichen Seele ist nur ein anderer Ausdruck für dieses transzendente Ich. Denn gerade die Idee der Unsterblichkeit, daß das Ich nicht nichtbar ist, ermöglicht es, das Todsein wie das ewige Leben von dem Menschen zu denken. Erst so ergibt sich die Möglichkeit, sinnvoll von einer Aufhebung des Todes durch Christus als Erlösung zu sprechen. Die Alternative dazu bietet Epikur, dem im Nichtssein die Vorstellung vom Erlöstwerden vom irdischen Leben denkbar werden läßt. Das ist eine Vorstellung, die in Zeiten der Dekadenz, Zeiten des geschwächten Lebenswillens auf fruchtbarem Boden fällt. Man denke nur an die Euthanasiedebatte unter dem Etikett eines humanen Sterbens durch eine Beihilfe zum Freitod. Und ist es nicht verdächtig, wie oft auch in Beerdigungsansprachen zu hören ist, daß nun der Verstorbene hier-und das meint das Grab- seine ewige Ruhe gefunden habe. Wie aber von einem völlig genichteten Subjekt prädiziert werden kann, daß es den Frieden im Tode gefunden habe, bleibt dann unreflektiert.
1Nietzsche, F., Morgenröte, 1.Buch, 72, in: Nietzsche,F., Werke II, Hrsgb: Schlechta,K., 1984 S.61.
2Nietzsche,F., a.a.O.S.61.
3Gottesdienst, Gebet-und Gesangbuch für das Erzbistum München und Freising, 1950,S.15
4Vgl: Nitzsche,F., Der Wille zur Macht, 165.
5Jean Paul, Titan, Der Traum der Wahrheit, 1983, S.9
6Camus, A., Der Mythos von Sisyphos, in: Camus, A., Das Frühwerk, 1967, S.397.
7Camus,A., a.a.O. S.393.
8Vgl: Lüthehaus, L., Nichts 6.Auflage 2006, S.165-222.
9Vgl: Jüngel, E., Tod, 1971.

10DH 40.Auflage DH 4653.

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