Sonntag, 26. Oktober 2014

Fragen zum Meßopfer

Fragen zum Meßopfer

Die Frage nach dem tiefsten Wesen speziell des Meßopfers wird nicht mehr behandelt; es
dürfte sich jedenfalls um ein Glaubensgeheimnis im strengen Sinne handeln, da alle bisher aufgestellten Theorien nicht begreiflich machen können, wie die immer neue Wirklichkeit ex opere operato des Meßopfers mit seiner Identität mit dem einmal endgültig vollzo-genen Kreuzopfer zu vereinbaren ist.“, resümiert leicht resigniert J. Rothkranz, zu diesem Zeitpunkt noch nicht Sedisvakantist 19871 und auch wenn dies Urteil schon historisch anmutet, es ist auch heute noch gültig.

Hier soll nun ein Aspekt dieses sehr weiten Feldes erörtert werden: die Frage nach der Einheit vom gottesdienstlichen Kult des ersten Bundes, dem Kreuzopfer Christi und derchristlichen Eucharistiefeier. Die These der Einheit dieser drei differenten Wirklichkeiten soll dabei als Alternative ins Gespräch gebracht werden zu der näher liegenden Vor-stellung, es handle sich um drei verschiedene Wirklichkeiten, so daß ob des einmal endgültig vollzogenen Kreuzesopfers Jesu Christi die Opfer des Alten Testamentes eigentlich überflüssig wären und die Eucharistie kein Opfer sein könne, denn das widerspräche der hinreichenden Genügsamkeit des einen einmal vollbrachten Karfei-tagsopfers. Damit ist aber auch die Frage der Beziehung des Alten Testaments zum Neuen aufgeworfen und das Verhältnis zur Kirchengeschichte: warum gab es vor dem Kreuzopfer Christi eine Religionsgeschichte mit Kultopfern und warum ist das Kreuz Christi nicht das Ende jeder Kultpraxis, so daß es nun nur noch eine Religion in den Grenzen der praktischen Vernunft gibt, sondern weiterhin den christlichen Gottesdienst, der gerade im Meßopfer seinen Höhepunkt hat, wie es ausdrücklich das 2. Vatikanum konfirmiert? Gelingt es nicht, die Einheit vom Opferkult des alten Bundes und der Eucharistiefeier des neuen Bundes zu denken, dann wird sich in diesen Spalt zwischen den beiden Opferkulten immer wieder aufs Neue der marcionitische Geist revitalisieren.Wenn das Alte und das Neue Testament einen Gott verkündigt und nicht zwei, kann der jeweilige von Gott eingesetzte Gottesdienst nicht ein der Substanz nach verschiedener sein! Eine substantielle Differenz zerrisse die Einheit Gottes. Der Vorwurf des christlich - jüdischen Gesprächskreises des ZK, daß die traditionelle Messe marcionitisch ausgerichtet wäre, träfe zu, wenn der in alten Messe exzeptionell betonte Opfercharakter der Messe die Aussage beinhalten würde, daß nun in der hl. Messe statt der falschen Kultopfer des AT das wahre Opfer Gott dargebracht werden würde. Das von Gott im alten Bund einge-setzte Kultwesen mit seiner Opferpraxis stünde dann ja im Widerspruch zu Gottes neu eingesetzter Eucharistiefeier, dem wahren Opfer. Gottes Anordnung des Kultes stünde wider Gottes neuer Kultordnung, Gott stünde wider Gott.

Zur Veranschaulichung: das Opfer, das das fromme Israel zugunsten der gefallenen Krieger darbringt, damit diese durch dies Opfer entsühnt an der geglaubten Auferstehung der Toten teilhaben werden, kann das wesentlich ein von dem Meßopfer zugunsten Verstorbener und der armen Seelen im Fegefeuer verschiedenes sein? Können zwei substantiell verschiedene Opfer die selbe Frucht erwirken, daß verstorbene Sünder entsühnt werden und so Zugang zum ewigen Leben erlangen? Selbstredend präsumiert die Hl. Schrift (2.Makkabäer 12, 39- 46), daß dieses Sühnopfer für die Verstorbenen effektiv wirksam ist; nicht kann deshalb dies Sühnopfer nur als prophetische Verkündigung des zukünftigen Meßopfers gedeutet werden. Es ist ein reales, da vollzogenes Opfer gemeint, das Sühne für die Verstorbenen erwirkt. Kann Gott im alten Bund ein Meßopfer zur Entsühnung der Verstorbenen einsetzen und dies dann als ungültig durch ein völlig anderes ersetzen? Ist nicht das Moment der Kontinuität, Beschneidung und Taufe, das Gottes Volk des alten Bundes, das neue Gottesvolk, stets ist der Bund einer mit einem Volke, unübersehbar.

In ersten Korintherbrief spricht der Apostelfürst Paulus gar von einer Taufe auf Mose im alten Bund wie von einer geistlichen Speise, einer eucharistischen Speisung des Volkes: sie tranken Christus.2 Es ist nun eine theologische Aufgabe, zu ergründen, warum es nicht nur das Karfreitags-opfer Christi gibt sondern auch den alten vorchristlichen Kult und den neuen nachchrist-lichen. Sowohl der alte wie auch der neue muß dabei als von Gott gewollte und selbst eingesetzte Ordnung begriffen werden. Am Rande steht dabei auch die Frage, wie das wahre Opfer Christi sich zu all den anderen Opfern der Religionen verhält.

Nikolaus Gihr schreibt in seiner sehr gediegenen Studie: „Das heilige Meßopfer“: „Es genügt darum nicht, daß die christliche Religion und Kirche ein Opfer, das einmal dargebracht worden, zur Grundlage habe: sie muß auch ein Opfer, das ständig wiederholt wird, als Grundpfeiler ihrer Fortdauer besitzen.“3 Kraftvoll betont Gihr die konstitutive Bedeutung des Opferkultes für die christliche Religion. „Zur Vollkommenheit einer Religion gehört aber notwendig ein vollkommener Gottesdienst, d.h. Darbringung des Opfers; denn das Opfer ist die vorzüglichste Art und die vornehmste Bestätigung der Gottesverehrung. Hätte die christliche Religion kein ständiges Opfer, dann hätte sie keinen vollkommenen Gottesdienst und wäre nicht in jeder Hinsicht vollkommen, sondern in einem wesentlichen Punkte mangelhaft und ungenügend, was nicht angenommen werden darf.“ „was wäre aber die christliche Kirche, wenn sie kein Opfer, keinen Priester und keinen Altar hätte?“4 Gihr bestimmt das Verhältnis vom alttestamentlichen Opfer zum Kreuzopfer und zum Meßopfer wie folgt: Das Meßopfer „darf nicht bloß sinnbildlich das Kreuzopfer nachbilden, wie die alttestamentlichen Opfer dasselbe vorgebildet haben, sondern es muß wahrhaft und wirklich das einst auf dem Kalvarienberge vollzogene Opfer darstellen und vergegenwärtigen.“5 Durch diese problematische Bildtheorie, die zwischen einem bloßen Nachbilden und einer wahrhaftigen Vergegenwärtigung des Kreuzopfers unterscheidet, wird nun der Opferkult des alten Bundes zu einer bloßen Scheinveranstaltung ohne Substanz, der Kult ist leer und verweist nur auf seine zukünftige Substanz, das Kreuzopfer. Bedenkenswert ist die These, das Meßopfer vergegenwärtige das Kreuzopfer. Damit wird der nicht unproblematische Gedanke derständigen Wiederholung präzisiert. Im Padre Pio Büchlein zur Meßfeier heißt es aber:„O Herr, unser Gott, wir sind hier, um dem heiligen Meßopfer beizuwohnen, das uns an das Kreuzopfer Deines Sohnes Jesus Christus erinnert und es täglich erneuert.“6 Unter dem Opfer, „das ständig wiederholt wird“7 könnte ja eine unendliche Serie von Opfern verstanden werden, die ihren Anfang im ersten Opfer, dem Kreuzopfer gehabt hat. Auch in einer Serie ist das folgende nicht unabhängig vom ersten Opfer („Das neutestamentliche Opfer kann und darf nicht unabhängig sein vom Kreuzopfer.“8); die Serie der Opfer konstituiert sich dadurch, daß eines immer auf das andere folgt, aber die Folge wäre, daß nun es nicht mehr das einmal vollbracht wordene Opfer gäbe, sondern eine unendliche Reihe von Opfern, die das Heil des Menschen erwirkten. Der Begriff der Vergegenwärtigung des Kreuzopfers bewahrt, daß ein Opfer das Heil wirkt und nicht eine Serie von Opfern, aber er läßt völlig im Unklaren, wie denn nun das eine Kreuzopfer sich in den vielen Meßopfern vergegen-wärtigt. Der Begriff der Vergegenwärtigung ist ein noch zu begreifender Begriff. Und hier könnte eine Bildtheorie hilfreich sein. Es sei hier schon die bedenkenswerte Erwägung Hansjürgen Verweyens über das Absolute und sein Bild verwiesen.9

Wie deutet Gihr nun selbst den Begriff der Vergegenwärtigung des Kreuzopfers? „Das immerwährende Opfer des Neuen Bundes kann nicht den Zweck haben, neues Verdienstzu erwerben oder aufs neue für die Sünden der Menschen Genugtuung zu leisten,sondern es kann nur dazu bestimmt sein, Sühne und Verdienst des Kreuzopfers den hilfs-und heilsbedürftigen Menschen zuzuwenden.“10 In Paragraph 2 „Das Opfer im eigent-lichen Sinne“ weiß Gihr noch, daß das Opfer Gott dargebracht wird11, hier hat er seine Explikation zum Opfer vollständig vergessend ganz wie die reformatorische Abendmahls-theologie die Bedeutung des Meßopfers auf seine rein sakramentale reduziert: das Sakra-ment des Altares teilt die Gnade aus und ist somit kein Opfer sondern nur die Austeilung der Früchte des Kreuzopfers. Ein Opfer, das keinen Verdienst erwirkt, ist kein Opfer.
Nach Gihr soll das Meßopfer ein Sühnopfer sein, indem es die sündentilgende Kraft des Kreuzopfers den Menschen zuwendet. 12 Hier wird nun vollends das Wesen des Opfers mit dem des Sakramentes verwechselt und das Meßopfer hört so auf, ein Opfer zu sein, indem es nur noch als gnadenausteilendes Sakrament expliziert wird. Zum Kultopfergehört konstitutiv die Ausrichtung auf Gott mit dem Zweck, „Gott dem höchsten Herrn und Gebieter, zu huldigen, sei es durch Anbetung oder Dank, Bitte oder Sühne;“13 zum Wesen des Sakramentes, daß der Mensch der Adressat dieser kirchlichen Handlung ist.
Ott definiert so das Kultopfer: „Im engeren liturgischen Sinn versteht man unter Opfer eine äußere religiöse Handlung, in der eine sinnenfällige Gabe durch einen rechtmäßigen Diener Gott dargebracht wird zur Anerkennung der absoluten Oberherrlichkeit Gottes und seit dem Sündenfall zur Versöhnung Gottes.“14 Ein Opfer, das nicht Gott dargebracht wird und das nach dem Sündenfall nicht der Versöhnung Gottes (Genitivus objectivus)dient, ist kein Opfer. Das Sakrament definiert Ott demgegenüber so: „Die Sakramente des Neuen Bundes enthalten die Gnade, die sie bezeichnen, und verleihen sie denen, die kein Hindernis entgegensetzen.“15 Aus diesen beiden Definitionen ergibt sich, daß, wenn das Meßopfer ausschließlich als die Distribution des durch das Kreuzopfer Gewirkten gedacht wird, es nicht als sacrificium sondern als Sakrament verstanden wird. Erstaunlicherweise zitiert Gihr bei der Entfaltung des Meßopfersals Sühnopfer: „Durch Wirksamkeit dieses Opfers versöhnt, erhöre, o Herr, huldvoll unsere Bitte und gib, daß wir von den eigenen Verschuldungen los und mit fremden Sünden nicht belastet werden.“16 Durch das Meßopfer wird Gott versöhnt, das ist die direkte Wirkung des Opfers und weil Gott versöhnt worden ist, kann er nun als Versöhnter gebeten werden,Gutes für die Menschen zu tun. Dies Gewähren von Gutem ist so nicht die direkt erwirkte Frucht des Meßopfers, sondern eine Gabe, von der gehofft wird, daß Gott sie dem Bittenden gewährt, weil Gott durch das Meßopfer versöhnt, bereit ist, menschliche Bitten zu erhören. Im Kapitel 2 der Lehre und Kanones des Trienter Konziles über das Meßopfer heißt es ja: „Durch seine Darbringung versöhnt, gewährt der Herr nämlich Gnade und das Geschenk der Buße.“ Durch die Darbringung des Meßopfers wird Gott versöhnt, nicht wird Gott durch das Meßopfer nur an das Kreuzopfer erinnert, es geschieht jetzt im Vollzuge des Meßopfers Gottes Versöhnung. So kann Diekamp nicht zugestimmt werden, wenn er interpretierend dies Kapitel kommentiert: daß das Meßopfer „ebenso wie die Sakramente nur ein Mittel ist, die Früchte dieses Opfers den Gläubigen zuzuwenden.“17
Durch diese Deutung will Diekamp den protestantischen Einwand, daß Meßopfer setze eine defizitäres ergänzungsbedürftiges Opferverständnis des Kreuzes entgegenhalten, „daß das Meßopfer nach katholischer Lehre keine neuen Verdienste Christi begründet und den Sühnewert des Kreuzesopfers nicht ergänzt.“18 Auch an dieser Formulierung wird deutlich, daß hier Diekamp das Kreuzesopfer und das Meßopfer als zwei Opfer denkt, um dann um der Alleingenügsamkeit des Kreuzesopfers willen, dem Meßopfer faktisch seinen Opfercharakter abspricht und das Sacrificium zum bloßen Sakrament umdeutet.
Das kann aber nicht als sachgemäße Ausdeutung der Lehre vom Meßopfer des heute noch gültigen Trienter Konziles gelten. So heißt es in Lumen Gentium eindeutig: Der Amts-priester „vollzieht in der Person Christi das eucharistische Opfer und bringt es im Namen des ganzen Volkes Gott dar.“19 Wenn Gott das Opfer Jesu Christi durch die Kirche darge-bracht wird, erwirkt dieses Opfer bei Gott, weil er es gnädig annimmt, Versöhnung und diese gewirkte Versöhnung ist die Voraussetzung dafür, daß Gott nun seine Gnadengaben an Menschen austeilt. Nicht erwirkt so das Meßopfer unmittelbar die Gnadengaben, sondern Gott gewährt sie ob der Wirkung des Meßopfers. Wie dieses nun zu denken ist, ohne daß dies das Mißverständnis provoziert, daß das Kreuzesopfer Christi defizitär gewesen sei und nun des Supplementes weiterer Opfer bedürfe, ist ein noch ungelöstes Problem. Nicht darf aber um der reformatorischen Kritik willen, nun das Meßopfer seines Opfercharakters entkleidet werden,um es nur noch als Altarsakrament stehen zu lassen.

Ott sagt zum Verhältnis des Meßopfers zum Kreuzopfer in seiner brillanten Dogmatik: „Im Meßopfer wird das Kreuzesopfer sakramental dargestellt,das Gedächtnis desselben begangen und die Heilskraft desselben zugewandt.“20 Der Begriff der sakramentalen Darstellung soll dabei a) ausdrücken, daß das Kreuzesopfer ein absolutes, das Meßopfer ein relatives Opfer ist. Das heißt: das Meßopfer wäre ohne das Kreuzopfer kein Opfer; nur in Relation zum Kreuzesopfer ist es ein wahres Opfer, b)ausdrücken, daß dieses Meßopfer aber nicht nur eine Erinnerung an das einstig geschehene Opfer ist, sondern eines, durch dessen Vollzug ex opere operato Gott versöhnt wird und daß Gott als Versöhnter dann Gnaden gewährt.21 Wie aber nun das Verhältnis vom Kreuzesopfer zum Meßopfer zu denken ist, verbirgt dieser Begriff der sakramentalen Darstellung.

Man kann jetzt schon konstatieren, daß ein offenkundiges Defizit der vorkonziliaren Theologie darin besteht, zwar zu bekennen, daß die Eucharistie ein wahres Opfer ist,daß es ihr aber kaum gelingt, das Bekannte denkerisch zu begreifen. Was aber nicht im theologischen Denken begriffen wird, neigt dazu, zur bloßen Formel zu erstarren und dann als Unbegriffenes aus dem Glaubensleben zu verschwinden. Daß in der nachkonziliaren Reformeuphorie der Opferbegriff weitestgehend verschwunden ist in Folge einer Überbetonung des Mahlcharakters der Euchartistiefeier ist in diesem Defizit vorkonziliarer Theologie präfiguriert. Es liegt eben sehr nahe, aus der These, das Meßopfer appliziere die Früchte des Kreuzesopfers, zu folgern, daß diese Applikation primär in der Kommunion sich ereigne, so daß das Wesentliche der Eucharistie die Mahlfeier sei. J. Wohlmuth steht sicher nicht allein mit seinem freimütigen Bekenntnis:„Nicht Opfer, das wir darbringen, sei die Eucharistie, sondern Mahl, das wir empfangen.“
Wie schwer fällt es uns, den Tod Jesu und seine sakramentale Feier noch irgendwie opferterminologisch zu verstehen! Wäre ich mit der Erstellung der neuen Eucharistie-gebete nach dem Konzil befaßt gewesen, hätte auch ich dafür plädiert, auf das Wort„Opfer“ möglichst zu verzichten. Endlich hatten wir doch auch Luthers Fundamental-kritik verinnerlicht, die da lautet, das Opfer sei Werk des Menschen, das an die Stelle des einmaligen Opfers Christi am Kreuz tritt und so sich zu einer Größe verselbständigt, die aller Gnaden- und Rechtfertigungstheologie widerspricht.“22 Luthers Kritik am Meßopfer gründet nicht in einer prinzipiellen Ablehnung des Begriffes des Opfers, daß Jesus Christus für uns sich Gott als Sühnopfer dargebracht hat, sondern aus dem Unvermögen, das Verhältnis vom einmaligen Karfreitagsopfer und der Serie der Meßopfer anders als ein Konkurrenzverhältnis zu denken. Dem einen Opfer stehen die vielen gegenüber und weil das eine heilsgenügsam sei, sind die anderen nicht nur überflüssig, sondern ihr Vollzug ist ein Nein zur Heilsgenügsamkeit des einen Kreuzopfers. Luthers Kritik am Meßopfer um des einen wahren Kreuzopfers willen muß dabei distinkt unterschieden werden von der von modernistischen Theologen erhobenen Kritik am Kreuzopfer. Verweyen deklariert etwa: „Es ist nicht so- wie eine jahrhunderte alte Sühnetheologie meinte- daß Gott Jesus an die Gewalt ausliefert, weil er ein Opfer zur Besänftigung seines Zornes will.“23 Die klassische Sühne- und Kreuzestheologie wird dabei von Verweyen wie auch von Menke ersetzt durch die Vorstellung, daß Gott unbedingt die Freiheit des Menschen anerkenne und daß er um dieser unbedingten Anerkennung willen den Freiheitsmißbrauch der Menschen, die Jesus kreuzigen wollen, nicht verhindern konnte, weil er damit die unbedingte Anerkennung der menschlichen Freiheit revozieren würde. Bei Menke liest sich das so: „Der Gott, der unbedingte Liebe ist, will den Kreuzweg seines Sohnes nicht- ganz und gar nicht! Die Wahrheit ist eine andere: Er kann diesen Kreuzweg nicht verhindern.“24
Denn Gott ist als unbedingte Liebe den Menschen unbedingt liebend und so unbedingt seine Freiheit anerkennend. Die Freiheit würde Gott nicht unbedingt anerkennen, wenn Gott den Freiheitsmißbrauch ausschlösse. So wird das Kreuz Christi zum Symbol der vollkommenen Anerkenntnis der Freiheit des Menschen durch Gott. Und das meint die Bibel unter dem Begriff der Liebe, so Menke: Die Bibel versteht unter Liebe: „die unbedingte Anerkennung des Anderen.“25 Beginnt also die Zerfallsgeschichte mit der These, daß um des einen wahren Opfers willen alle anderen nicht mehr legitim sind mit Luther, so wurde damit auch der Emergenzpunkt dafür gesetzt, nun total den religiösen Gedanken des Opfers zu verwerfen, wie es hier exemplifiziert worden ist an Verweyen und Menke. Aber wenden wir uns dem Anfang der Verfallsgeschichte wieder zu: dem Problem der Verhältnisbestimmung von den vielen kultischen Opfern zu dem einen Kreuzaltaropfer.

Gibt es aus diesem Dilemma einen Ausweg? Ich meine, daß B. Poschmann in seiner Lehre von der Kirche hier sehr hilfreich sein könnte. In dem Kapitel: „Der Zweck der Kirche und ihre Heilsnotwendigkeit“ wird das Verhältnis vom Kreuzopfer Christi zur Kirche so bestimmt: „Das einfürallemal vollendete objektive Erlösungswerk bedarf der Ergänzung der subjektiven Erlösung, und zu ihr bedient sich Christus als causa principalis der Kirche als causa instrumentalis. Die Kirche ist sein lebendiges Werkzeug.“26 Dies könnte so gelesen werden, daß die Kirche eine rein distributive Funktion besitzt. Durch sie teilt Christus das im Kreuz erwirkte Heil aus. Dann wäre der einzige Adressat aller kirchlichen Handlungen der Mensch. „Wie es neben dem einen Hohenpriester Christus kein anderes selbständiges Priestertum gibt, sondern nur ein „Priestertum der Teilhabe“, so auch neben dem einen Opfer am Kreuze kein anderes selbständiges Opfer, vielmehr auch nur ein „Opfer der Teilhabe“, mit anderen Worten ein sakramentales Opfer. Im Wesen des Sakraments liegt es, daß es wirksam wird durch Vermittlung eines Zeichens, und so kommt auch das sakramentale Opfer zustande, indem Christi Opfertod unter den getrennten Gestalten de Leibes und des Blutes sinnbildlich dargestellt wird. Ein histo-rischer Akt verliert nichts von seiner Einmaligkeit, wenn es in noch so vielen Bildern dargestellt wird. Das Meßopfer ist indes- und darin liegt das Mysterium-nicht bloßes sondern reales Bild.“27 Das Meßopfer bildet real das Kreuzesopfer ab. Diese Aussageverlangt nun eine Theorie des Bildes, um verstanden zu werden.

Es soll ein erster Versuch gewagt werden. Wenn das Karfreitagsopfer das absolute Opfer und das Meßopfer wie auch das Opfer des alten Bundes nur relative Opfer sind, so meint dies, daß die Substanz des Kreuzopfers auch die Substanz in den relativen Opfern ist. Das eine wahre Opfer vervielfältigt sich in den vielen Opfern, wie etwas in vielen Bildern von diesem etwas. Wenn die Bilder des einen wahren Opfers aber auch reale Opfer sein sollen und nicht nur leere Bilder, dann stellt sich die Frage: gibt es ein wahres und viele relativ wahre Opfer oder ist das Karfreitagsopfer und die Kultopfer des alten Bundes und des neuen Bundes als ein Opfer zu begreifen? Auf das Verhältnis des Kreuzopfers und des Meßopfers bezogen hieße das, daß das Kreuzopfer als das Urbild aller wahren Opfer und das Bild dieses Urbildes, das Meßopfer eins sind. Denn das Bild hat kein anderes Wesen, keine andere Substanz als das des Urbildes. Das Urbild des wahren Opfers bildet sich ab in den Vorbildern des wahren Opfers im Kult des alten Bundes und bildet sich nach in den Abbildern des neuen Bundes. Das das Vorabbild und das Nachabbild des wahren Opfers ihr Sein, ihre Substanz nur in dem wahren Opfer haben, existieren sie nur als Erscheinungdes wahren Opfers und bilden so eine Einheit. Man könnte dann sagen, daß das historisch am Karfreitag geschehene Opfer nie von Gott als ein einziges singuläres historisches Ereignis intendiert war, sondern es war von Ewigkeit her gedacht als das Urbild aller wahren Opfer, so daß es sich in den relativen Opfern des Kultes selbst vergegenwärtigt, um so mit ihnen eine Realität zu bilden, eine Einheit, in der das wahre Opfer sich in eins setzt mit den Realbildern dieses Opfers. So verstanden ist das Realbild des wahren Opfers nichts anderes als das sich vergegenwärtigende Kreuzesopfer, das dann im vollen Sinne Dank-, Lob-, Bitt- , und Sühnopfer ist. Wenn es nur das wahre Kreuzopfer Christi am Karfreitag gäbe, könnte es keinen religiösen Gottesdienstkult geben, denn ein Gottesdienst ohne ein Kultopfer wäre eine defizitäre Religion. Weil Gott aber von den Menschen, seinem dazu erwählten Volke, Israel und dann die Kirche verehrt werden wollte, war es Gottes ewige Intention, das eine vollkommene Opfer so sich vergegenwärtigen zu lassen in vielen Kultopfern, so daß diese den Kern wahrer Religion bildeten. Da das eine vollkommene Opfer Jesu Christi aber nicht ergänzungsbedürftig ist, nicht andere Opfer zur Ergänzung bedarf, und es doch um der Verehrung Gottes Kultopfer bedarf, ist das eine wahre Opfer als Einheit von dem Urbild und seinen Abbildern gesetzt. So wie die Idee des Menschen in Gott und die vielen Einzelmenschen eine Einheit bilden: das Menschsein, ähnlich ist das Urbild des Opfers und die vielen Einzelopfer eine Einheit:
das Sein des Opfers. Diese Substanz des Opfers realisiert sich nun in geschichtlich kontingenten akzidentiellen Gestaltungen. Auch das wahre Kreuzopfer Christi ist als wahre Substanz des Opfers eingekleidet in geschichtlich kontingenter Gestalt und das Meßopfer ist die Vergegenwärtigung der Substanz dieses wahren Opfers in anderer geschichtlich kontingenter Gestalt. Aber der Substanz nach gibt es nur ein Opfer, das die Einheit von Urbild und Abbildern ist, so daß so erst ein Gott wohlgefälliger Kult möglich ist. Die Opfer des alten Bundes, gerade weil sie im alten Bund als effektiv geglaubt wurden- rechtens können, weil sie effektiv waren, keine andere Substanz beinhalten als das Kreuzesopfer Christi. So sagt auch Gihr über das Verhältnis des einen wahren Opfers, dem Kreuzofer und den vielen anderen Opfern aus: Das wahre Opfer am Kreuz ist das, „auf welches alle anderen Opfer sich beziehen und aus welchem alle anderen Opfer ihre Bedeutung, Kraft und Wirksamkeit schöpfen.“28Wie könnte ein anderes Opfer als das des Heilandes Gott versöhnen und Gott bewegen, Sündern zu vergeben und ihnen so Anteil am ewigen Leben zu gewähren. Es sei an das Totenopfer des Makkabäerbuches erinnert.

Zum unlösbaren Problem wird die Verhältnisbestimmung von dem Kreuzesopfer zum Meßopfer, wenn das Kreuzopfer als historisch isoliertes Ereignis gedacht wird, das in sich vollkommen heilsgenügsam sein soll und wenn dann dem Meßopfer auch noch der Charakter eines wahren Opfers zugesprochen werden soll. Darauf verweist Rothkranz zu recht, indem er sich flüchtet in die Geheimnisrhetorik. Wenn aber das Kreuz Christi nicht als ein isoliertes Geschichtsereignis zu verstehen ist, sondern als etwas, das sich in vielen Kultopfern vergegenwärtigen soll, damit wahre Religion sein kann, dann wird man das Kreuzopfer eher als das Urmodell verstehen, das nur darum ist, damit es sich in vielen Exemplaren vergegenwärtige und so als Urmodell und den vielen Einzelmodellen eine Einheit bildet. Wenn Gott die Idee des Menschen in sich ewig hatte und er jeden Einzelmenschen als Individuierung dieser Idee des Menschen hervorbringt (als Erstur-sache jedes Menschen), dann ist auch hier die Idee des Menschen nie als ein rein selbstzwecklich Isoliertes in Gott, sondern als das Urmodell aller Menschen und bildet mit den vielen Menschen eine Einheit, was man das Menschsein, den Menschen an sich etc. nennt.

Was ist damit gewonnen? Es ist ein Versuch, das eine wahre Opfer und die vielen so zusammenzudenken, daß ausgesagt werden kann: a) immer wollte Gott, daß eine wahre Religion und ein wahrer Kult ist. Die Religion des alten Bundes ist nicht eine unwahre und
auch nicht eine vor- oder gar unter- christliche Religion, sondern sie ist die Gestalt der christlichen Religion, in der der Sohn Gottes nur verborgen unter seinem Volke lebte und in der hoffenden Erwartung auf sein sichtbares Kommen. Das Christentum ist in Kontinuität zur Religion des alten Bundes die Gestalt der christlichen Religion nach derInkarnation Gottes und in ihr ist jetzt der wahre Kult in der Gestalt, die er bekommen hat ob der Inkarnation. Die Bibel ist als ganzes das Fundament der einen wahren Religion,
das sein Zentrum im Kreuzesopfer Christi hat und das sich vorabgebildet hat im Kult des alten Bundes und nachabbildet im Kult des neuen Bundes als das eine wahre Opfer unter kontingent geschichtlich veränderten Gestalten. Damit soll ausgeschlossen werden, da wir Christen von einem jüdisch-religiösen Kult der hebräischen Bibel reden müssen und von einem christlichen Kult, der in Kontinuität und Diskontinuität zum jüdischen Kult sich befindet, so daß das Christentum als zu einem eigentümlichen Zwitterwesen, bestehend aus zwei miteinander vermengelten Religionen, erscheint und das uns unbeabsichtigt zusehens das Alte Testament mit seinem Kult zum Fremdkörper wird. In diesem Sinne ist die Äußerung Kardinal Ratzingers nicht unproblematisch: „Das letzte Abendmahl Jesu ist zwar der Grund aller christlichen Liturgie, aber es ist selbst noch keine christliche Liturgie.“29
Ist aber erst der Kult des alten Bundes uns Christen zum Unterchristlichen verkommen,dauert es nicht mehr lange, bis uns auch der christliche Kult als Verfehlung des eigentlichen Anliegens Jesu erscheint. Und so entstehen dann diese ewigen Märchenerzählungen von einem Jesus, der den Kult des Alten Testsamentes verworfen hat, einem kultfreien Urchristentum ohne Priester und Opfer, einer rein ethisch ausgerichteten Jesusfrömmigkeit, die dann später korrumpiert worden ist durch Ewiggestrige, die Opfer, Priester und Hierachie wieder einführten, so das Urchristentum wieder in Kontinuität zur Kultreligion des AT und der Religion überhaupt brachten.Bogdan Snela steht so leider nicht allein, wenn er in seinem Lexikonartikel: Priester/ Bischof phantasiert: Im Urchristentum bedeutet das Opfer:“hier das bei der Mahlfeier mit Brot und Wein gesprochene Gebet der Danksagung.“30 Die Gemeinde feierte von sich aus ohne leitende Amtsperson Taufe, Eucharistie und Salbung. Die „Satzerdotalisierung“ sei dann der Sündenfall der Kirchengeschichte gewesen und nicht einmal dem 2. Vatikanum wäre es gänzlich gelungen, diese Fehlentwicklung vollständig zu korrigieren. Schneider und Hilberath sehen als einen Grund dieser Fehlentwicklung den undifferenzierten Rückbezug auf das Opferverständnis des alten Bundes.31 Wenn das Opfer Jesu Christi erst mal als die radikale Umprägung des Opferbegriffes verstanden wird, so daß sein Opfer die kultische Opferpraxis des alten Bundes ins Unrecht setzt, dann muß jede Kontinuität
des christlichen Kultes zum Kult des alten Bundes als Fehlentwicklung interpretier werden.32 Es wird so aber nicht nur die Kontinuität vom Kult des alten Bundes und dem Kreuzesopfer Jesu negiert, auch die Jesu Opfertod nachfolgende Kultpraxis, von Christusselbst am Gründonnerstag initiert, wird nun als Abfall gedeutet, so daß schlußendlich man bei der protestantischen Konkurrenzthese landet, daß das eine Opfer Christi, um der Einzigkeit willen, alle anderen Opfer ausschlösse und so ein kultfreies Christentum kreiert wird, das faktisch nur noch religiös- gesellige Mahlfeiern kennt. Daß sich aber diese Verkehrung des christlichen Kultes des Meßopfers in der Kirche durchsetzen konnte, liegt leider auch darin begründet, daß es dem theologischen Denken nicht gelungen ist,die Einheit vom Kreuzopfer und dem Meßopfer zu denken. Und wo die Einheit nicht gedacht werden konnte, da generierte sich die Vorstellung von zwei in Konkurrenz zueinander stehenden Opfern, der Ruin des Meßopfers. Und deshalb soll hier am Schluß das große Wort zur Bedeutung des Opferkultes für die Religion von Papst Leo XIII erinnert werden: „Das Wesen und die Natur der Religion selbst enthüllt die Notwendigkeit des Opfers.“ „Und wenn man die Opfer entfernt, kann eine Religion weder sein noch gedacht werden.“33








1Rothkranz, J., Mahl-oder Opfercharakter der heiligen Messe? 3.Auflage 2006 S.9.
2Vgl: 1.Kor. 10,1-4.
3Gihr, Nikolaus, Das heilige Meßopfer 14-16 Auflage 1919 S.63.
4Gihr a.s.OS.62.
5Gihr a.s.O.S.63.
6Zitiert nach: Weigel, A.M., Aus dem Gebetsschatz der heiligen Kirche 21.Auflage 2000 S.448.
7Gihr, a.s.O.S.63.
8Gihr a.s.O. S.63.
9Vgl: Verweyen, Hansjürgen, Gottes letztes Wort 4.Auflage 2000 S.154-159.
10Gihr a,s.O.S.63.
11Vgl: Gihr a.s.O.S.10-16.
12Vgl:Gihr a.s.O. S.131.
13Diekamp, F. Katholische Dogmatik Bd. II 11/12. Auflage 1959 S. 314.
14Ott, L. Grundriß der Dogmatik 11. Auflage 2005 S.271f.
15Ott a.s.O. S.457.
16Gihr a.s.O. S.132.
17Diekamp, Katholische Dogmatik Bd. III 11./12. Auflage 1954 S.218.
18Diekamp a.s.O. Bd.III S.218.
19DH 40. Auflage 4126.
20Ott, a.s.O. S.553.
21Vgl: Ott a.s.O. S.559- 563.
22Wohlmut, Opfer – Verdrängung und Wiederkehr eines schwierigen Begriffs, in: Das Opfer QD 186 2.Auflage 2000 S.100.
23Verweyen,H., Botschaft eines Toten 1997 S.86.
24Menke, Handelt Gott, wenn ich ihn bitte? 2.Auflage 2001 S.17.
25Menke, Handelt Gott, wenn ich ihn bitte? 2.Auflage 2001 S.17f.
26Poschmann, B., Die Lehre von der Kirche Quaestiones non disputatae Bd 4 2000 S.140.
27Poschmann,B. a.s.O. S.301.
28Gihr, Das heilige Meßopfer 1919 S.38.
29Joseph Kardinal Ratzinger, Gestalt und Gehalt der eucharistischen Feier, in: Das Fest des Glaubens 2.Auflage
1981 S. S.37.
30Snela, B., Priester/Bischof, in: Neues Handbuch theologischer Grundbegriffe Bd.3 Hrsgb: P.Eicher 1985 S.429.
31Hilberth, Schneider, Opfer, in: Neues Handbuch theologischer Grundbegriffe Bd.3 Hrsgb: P.Eicher 1985 S.293.
32Vgl: Hilberth, a.s.O. 287- 291.

33DH 3339 40.Auflage 2005   

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