Dienstag, 23. September 2014

Der Fall der Wahrheit in der Postmoderne

Wozu Wahrheit?

Ein Versuch über den Fall der Wahrheit in der Postmoderne


Wenn die letzte „Wahrheit“ aus dem Feld geschlagen und die Illusion der Erkennbarkeit von irgend etwas zwischenmenschlich „Wahrem“ begraben sein wird, werden wir frei sein:“, ist nicht nur die Meinung von Klaus Kunze1, sondern wohl das subkutan alle postmodernistisch Denkenden verbindende Credo. Daß diese Meinung die christliche Theologie ins Herz trifft, dazu bedarf es keiner weitschweifigen Begründung, sagt doch der Heiland selbst von sich: „Ich bin die Wahrheit!“
Kunze: „Vom Glauben als Erkenntnismodus muß sich prinzipiell lösen, wer frei entscheiden will.“2
Für G.W.F. Hegel war es noch selbstverständlich, daß der Gegenstand der Philosophie die Wahrheit ist, die ihm eins ist mit Gott.3 Als Arbeitshypothese soll gelten, daß die Moderne wie die Post-moderne als differente Reaktionen auf das Phänomen des weltanschaulichen Bürgerkrieges begriffen werden können. Unter dem Begriff des Weltanschauungskrieges sei verstanden, daß sich
Inhaber von absolut gültig geltenden Wahrheiten und Weltanschauungen, die sich wechselseitig ausschließen feindlich (Feind im Sinne von Carl Schmitt4) agonal gegenüberstehen und einen Vernichtungskrieg gegeneinander führen, dessen Kernsatz heißt: Glaubst du nicht wie ich, schlag ich dir den Schädel ein. Selbstverständlich muß dabei präsumiert werden, daß der Krieg allen Konfliktparteien ein rationales Mittel ihrer Politik im Sinne von Clausewitz war. Nicht kann in diesem Artikel eine hinreichende Verhältnisbestimmung von der Moderne zur Postmoderne erbracht werden. Es wird sich auf diesen Aspekt des differenten Reagierens auf die Wahrnehmung von Weltanschauungskriegen kapriziert unter der Annahme, daß so ein Ansatzpunkt gefunden ist, von dem her das Ganze der Moderne wie der Postmoderne rekonstruiert werden könnte. Als signifikannte Manifestationen der Differenz von moderner zur postmodernen Philosophie, wie auch zur Wahrnehmung von Kontinuität sei auf Kants Kritik der theoretischen und praktischen Vernunft
und der Kritik der Urteilskraft, der ästhetischen Vernunft verwiesen als dem modernen Denker und
auf Lyotards sprachphilosophische Umformung dieser Kritiken zu selbstständigen nicht vonein-ander ableitbaren Sprachspielen in seinem Hauptwerk: Der Widerstreit. Unter Postmoderne soll so in aller Vorläufigkeit eine Theoriebildung verstanden werden, die dem Gedanken der Erkennbarkeit von Wahrheit kritisch gegenübersteht, da der Begriff der Wahrheit dem Generalverdacht unterliegt in seinem Unterscheiden von wahr und nicht wahr letztendlich nur eine Manifestation des Willens zur Macht und des Beherrschens durch dieses Unterscheiden ist. Es sei an Nietzsches Votum erinnert: „Der „Wille zur Wahrheit“ wäre sodann psychologisch zu untersuchen.: es ist keine moralische Gewalt, sondern eine Form des Willens zur Macht.“5 Verweyen bestimmt die Grundhaltung des Postmoderne als die Ablehnung des Sichfestlegenwollens, in Anlehnung an Blondels Kritik des Diletantismus als das Ausweichen vor der Entscheidung, ja oder nein zu sagen,
in dem Verharren in einer ästhetischer Unverbindlichkeit. Einfacher gesagt: der verzicht, wahr von unwahr unterscheiden zu wollen und gemäß der Entscheidung zu leben.6

Historisch war der religiöse Bürgerkrieg des 17. Jahrhundertes der Grund der Konstruktion der Vernunft als dem einzigen Kriterium der Unterscheidung von Wahr und Unwahr mit dem besonderen Ziel einer Konstruktion einer rein vernünftigen Religion als Aufhebung des innerchristlichen religiösen Bürgerkrieges. Der 2. Weltkrieg verstanden als Weltanschauungskrieg zwischen der westlichen Wertegemeinschaft, dem Kommunismus und dem Nationalsozialismus bildete den Grund zum Konzept der Postmoderne als dem Versuch, allen Weltanschauungen die Wahrheitsfähigkeit abzusprechen, um eine radikale: Alles ist erlaubt! Kultur zu konzipieren, in der es nur noch beliebige Meinungen gibt, die auf jeden Anspruch universaler Gültigkeit verzichten.

Denn eine erkennbare und erkannte Wahrheit führe notwendigerweise zu Bekehrungs- und Missionsversuchen, die in der „Schwertmission“ ihren letztendlich konsequentesten Ausdruck finden. Wo Wahrheit Besitz ist, ist das Ende der Toleranz und der Anfang des Weltanschauuungs-krieges nahe. So fordert Safranski in: „Wieviel Wahrheit braucht der Mensch?“, daß alle großen Sinnentwürfe, die für sich einen universalen Wahrheitsanspruch erheben, zur kulturellen Privatsache sich reduzieren. Die Politik solle sich reduzieren auf die Erstellung und Aufrechterhaltung der Bedingungen eines friedlichen Zusammenlebens aller nur in ihrer Privatexistenz nach ihren Wahrheiten lebenden Menschen.7 Die christliche Religion darf so nur in der Innerlichkeit privatistischer Frömmigkeit als verbindliche Wahrheit gelebt werden.

Eine der Differenzen zwischen dem Typus der modernen und der postmodernen Lösungen des Problemes des Weltanschauungsbürgerkrieges besteht im unterschiedlichen Verständnis von Vernunft und Wahrheit. Versimplifiziert kann gesagt werden, daß die Moderne die Vernunft als das Vermögen des Menschen zur Wahrheitserkenntnis als die Größe betrachtete und konzipierte, die den unvernünftigen Religions- und Konfessionskrieg beendet im Namen der Vernunftwahrheit, die allen positiven Religionen und Religionsauffassungen zu Grunde läge: alle über diese Vernunftwahrheiten hinausgehenden Offenbarungswahrheiten der Religionen und Religionsauffassungen sollten als historisch kontingentes Dekor der allen gemeinsamen Vernunfttwahrheit entwertet werden, weil das Vernünftige, das von jedem Menschen Erkennbare allein für das Heil des Menschen ausreiche. Die Vernunft und die aus ihr konstruierte natürliche Vernunftreligion ist so der Antitypus zur zur Gewalt und Religionskrieg neigenden positiven Religion. Um des religiösen Friedens willen werden so alle Differenzen zwischen den Religionen und der Religionsauffassungen als bedeutungslos erklärt. Der Agnostizismus forciert diese Haltung durch das Gemeinurteil, daß man in religiösen Fragen nichts Genaues wissen könne, das über die Erkenntnis der aufklärerischen Trinität von: Gott, Freiheit und unsterbliche Seele (so Kant) hinausgehe. Die Postmoderne begreift nun selbst diese Vernunft mit ihrem Wahrheitspathos als etwas das Nichtvernünftige prinzipiell Ausschließendes und so prinzipiell Intolerante, weil ob der unendlichen Vielzahl von Vernunftwahrheiten, die sich alle wechselseitig ausschlössen, diese Vernunft selbst als Wahrheitserkenntnis den Weltanschauungsbürgerkrieg im nachreligiösen metaphysischen Zeitalter hervorruft. Unter metaphysische Wahrheiten versteht Kunze so alle ideologischen Weltanschauungen, die in der Immanenz der Welt absolut verbindliche Normen erkennt bzw. behauptet. „Das theologische Weltbild verlegte seine Seinsprinzipien in ein eigens dazu geschaffenes Jenseits. Transzendente werte in diesem engeren Sinne erfordern immer ein dualistisches Weltbild, in dem das Diesseits einem Jenseits unterworfen ist.“8 Das meint, daß die jenseitige Welt die Norm für die Gestaltung des Dieseitigen ist und dies präsumiert, daß das
Jenseitige als Übervernünftiges erkennbar ist im Offenbarungsglauben. „Neuzeitliche Denker brachten die Glaubensgewißheiten ins Wanken. Spätestens mit den Religionskriegen relativierten widerstreitende Theologien ihre Ansprüche auf letzte Weltdeutung wechselseitig.“9 Die offenbarten Glaubenswahrheiten wurden so durch metaphysische Vernunftwahrheiten ersetzt. „Seit der Aufklärung bemühte man das Jenseits immer weniger und ging zu einem monistischen Weltbild über. Seine ewigen und heiligen Werte rettete man, indem man sie ins Diesseits hineinverlegte.
Nunmehr galten metaphysische Prinzipien als der Natur immanent. Man suchte im Menschen nach seinem Wesen, für das man, je nach Bedarf, das Gute, das Böse, die Vernunft oder andere Eigenschaften erklärte.“10Resümierend urteilt Kunze: „Der metaphysische Wahrheitsbegriff und jeder metaphysische Normativismus sind von Anfang an intolerant.“11 Die Vernunftwahrheit, das Konzept der Domestikation der positiven Religionen auf das natürlich Vernünftige, wird nun selbst auf die Anklagebank der Intoleranz gesetzt und somit als verfehlte Konzeption zur Erreichung eines ewigen dauerhaften Friedens. Tiefsinnig rekonstruiert Kunze, daß jede Erlösungsvorstellung, ob sie nun eine religiöse oder eine metaphysisch politische ist, den Glauben an den metaphysischen Feind impliziert als dem Grund, warum die Wirklichkeit nicht so ist, wie sie sein sollte und daß die Hoffnung auf die Ausrottung des metaphysischen Feindes, des letzten Feindes konstitutiv zur metaphysischen wie zur religiösen Erlösungsvorstellung dazugehört.12

Wenn sich Gläubige verschiedener Weltanschauungen mit ihren „Göttern“ und deren Gesetze wappnen, empfinden sie jeden Angriff auf diese Götter als Angriff auf ihre eigene Identität. Gläubige Herzen vermögen das nicht zu ertragen.“13 Der Krieg aller gegen alle sei so vorprogramiert.

Bezeichnend für diesen postmodernistischen Denkansatz ist14, daß unter expliziter Berufung auf Ockham unter Freiheit die reine Willkür verstanden wird: „Menschliche Freiheit ist immer die Freiheit, allein über das eigene Tun zu entscheiden und im allgemeinen selbst die Regeln aufzustellen, denen der soziale Kontakt mit anderen Menschen unterliegt.“15 Die volle Freiheit sei so absolute Beziehungslosigkeit, weil es nichts gibt, was der Freiheit, der freien Entscheidung vorausgeht und diese Dezision inhaltlich bestimmen könnte. Das Gute, das Wahre, das Schöne sind nur Produkte der freien Entscheidung, das oder dieses als gut, wahr oder schön zu bewerten. Da diese Willkürfreiheit aber anarchisch jede Ordnung auflöst, muß sie durch Regeln begrenzt werden zur sozial verträglichen Freiheit. Wie dieses aber ohne religiöse oder metaphysisch legitimierte Werte möglich sein soll, daran arbeitet sich Kunze in diesem Buch vergeblich ab. Aber das Scheitern braucht uns hier nicht zu interessieren; wichtig soll sein, daß in dieser postmodernistisch gestimmten Kritik aller Offenbarungswahrheiten und aller metaphysischen Wahrheiten deutlich wird, daß der Wille, daß es keine erkennbare Wahrheit geben soll um der Freiheit und des Friedens willen das eigentliche Movens ist. Versimplifiziert: Wer auch immer von sich glaubt, im Besitze
der Wahrheit zu sein, ist letztendlich nicht friedensfähig. Der Besitz der Wahrheit verunmöglicht es, den Anderen nach seiner Fasson leben zu lassen. M. Foucault kann gar den Wahrheitsbegriff als die Freiheit des Denkens zensierende Größe diskreditieren: „Vielleicht ist es gewagt, den Gegensatz zwischen dem Wahren und dem Falschen als ein drittes Ausschließungskriterium zu betrachten-neben den beiden, von denen ich sprach.16 Wie sollte man vernünftigerweise den Zwang der Wahrheit mit solchen Grenzziehungen vergleichen können, die von vornherein willkürlich sind.“17

Donoso Cortes scheint diesem Urteil Kunzes recht zu geben, wenn er in seinem Essay über den Katholizismus urteilt: „ Die Freiheit in der Wahrheit ist ihr heilig, die im Irrtum ist ihr ebenso verabscheuungswürdig wie der Irrtum selbst.; in ihren Augen ist der Irrtum ohne Rechte geboren und lebt ohne Rechte, und dies ist der Grund, weshalb sie ihm nachspürt,ihn verfolgt bis in die geheimsten Schlupfwinkel des menschlichen Geistes; weshalb sie ihn auszurotten sucht.“18
En passant sei hier an die sehr heftige Debatte um den Wert der Religionsfreiheit während und nach dem 2. Vatikanischen Konzil erinnert. Kann es ein Recht auf den Irrtum neben der allein wahren Religion geben?

Zu fragen ist: Wenn die Theologie nicht mehr als durch den Wahrheitsbegriff konstituierte Wissenschaft verstanden werden dürfte, wie sie sich dann zu organisieren hätte. P. Sloterdijk gibt dazu eine bedenkenswerte Antwort indem er von der Prämisse spricht, „daß Religionen wie Theorien und Kunstwerke im Lauf des 20. Jahrhunderts Handelsgüter und Dienstleistungen geworden sind und sich als solche auf allgemeine Marktbedingungen einlassen müssen.“19

Syberberg drückt dies so aus: „Und die Wirtschaft wurde als Maßstab aller Werte mit dem Kapital
als Bibel des Materialismus erhoben,“.20 Nicht mehr wahr oder unwahr sondern verkäuflich oder nicht verkäuflich bestimme so die wissenschaftliche Theoriebildung wie die Produktion von Kunst.
Der homo oeconomicus wird so auch zu dem Adressaten religiöser Konsumangebote, die nach den Gesetzen des freien Marktes produziert werden und so sich von dogmatischen Wahrheitsvorgaben emanzipieren. Bei Lyotard liest sich das so: „Das Wissen ist und wird für seinen Verkauf geschaffen werden, und es wird für seine Verwertung in einer neuen Produktion konsumiert werden: in beiden Fällen, um getauscht zu werden. Es hört auf, sein eigener Zweck zu sein, er verliert seinen Gebrauchswert.“21 Modernistische Theologie wäre so die Art von Theologie, die sich den Marktbedingungen der freien Konkurrenz zu Lasten der Wahrhaftigkeit akkomodiert hat. Selbstredend kann die Theologie nicht Gott und dem Mammon zu gleich dienen und so muß jeder Versuch einer marktwirtschaftlich orientierten Theologie als Selbstdestruktion des theologischen Denkens bewertet werden.


Was ist Wahrheit? frug schon Pilatus und resigniert erleichtert ob der scheinbaren Unmöglichkeit der Erkenntnis der Wahrheit übergibt er die Causa Jesu Christi ganz demokratisch dem Volke, das ihn dann zum Kreuzestod verurteilt. Er, Pilatus, unfähig, wahr von unwahr zu unterscheiden, erklärt sich dann für unschuldig an diesem Todesurteil. Hier soll Unwissenheit vor Strafe schützen.

Was kann und soll aber die katholische Theologie angesichts dieser postmodernistischen Herausforderung auf die Pilatusfrage antworten.

Kreiner konstatiert in seiner philosophischen Gotteslehre unter der Kapitelüberschrift: „Wahrheit als Problem religiöser Praxis“22: „Wahrheit für die eigenen religiösen oder anderweitigen Überzeugungen in Anspruch zu nehmen, gilt vielfach als politisch inkorrekt, intolerant, imperialistisch, repressiv oder als Wurzel noch weit schlimmerer Dispositionen und Praktiken.“23
Kreiner spricht in Anlehnung an Bailey von einer „Veriphobie“. Damit ist die Furcht vor Wahrheitsansprüchen auch und gerade im religiösen Bereich gemeint ob der Konfliktträchtigkeit
konfligierender Wahrheitsansprüche. Gemeint wird, daß ein Großteil der Konflikte, die aus miteinander unvereinbaren Geltungsansprüchen von Weltanschauungen resultieren, „ließe sich aus der Welt schaffen, wenn von vornherein feststünde, dass die Suche nach der Wahrheit über Gott ein für Menschen aussichtsloses Unterfangen darstellt. Aus einleuchtenden Gründen erübrigte sich die Frage, welche Seite Recht hat, wenn klar wäre, dass keine Recht haben kann.“24 Um des friedlichen Miteinander oder Nebeneinander willen soll so auf alle Wahrheitsansprüche verzichten werden. Bestand die Domestikationsstrategie der Moderne in der These, daß alle positiven Religionen, insofern die natürliche Vernunftreligion ihren Wesenskern ausmacht, gleich wahr und damit gleich-gültig seien, so besteht die postmoderne Domestikationsstrategie in der These der Unerkennbarkeit der Wahrheit und der Unmöglichkeit und Illegitimität von Wahrheits- und Geltungsansprüchen von Religionen und Weltanschauungen. Eine Theologie, die sich darauf einließe, würde sich selbst nichten, denn für das religiöse Bewußtsein ist es konstitutiv, daß Gott als die Realität gedacht wird,
als unabhängig vom menschlichen Glauben existierende Entität.

Wenn also aus rein religiösen Gründen auf den Wahrheitsanspruch der Religion und Gottes nicht
verzichtet werden kann, wie kann dann weiterhin der Wahrheitsanspruch von theologischem Denken aufrechterhalten werden. Es soll deshalb gefragt werden, ob denn Denken ohne einen Wahrheitsanspruch überhaupt vorstellbar ist. Anders gefragt: Ist noch nach Wahrheit fragbar, wenn eine erkannte Wahrheit im Widerstreit zu anderen Wahrheitsansprüchen zu friedensgefährdenden Konflikten führt. Denn wenn die Frage nach der Wahrheit schon nur noch als Machtanmaßung, um im Namen des Wahren das Nichtwahre zu diskriminieren gehört wird, dann wird jede mögliche theologische Antwort auf diese Frage: Was ist wahr? auch nur noch verkannt werden. Philosophisch ist zu fragen, ob nicht jedes Denken auf Wahrheit hin orientiert ist und daß so gerade die Aussage der Nichterkennbarkeit der Wahrheit und der Nichtwünschbarkeit der Erkennbarkeit der Wahrheit selbst Aussagen sind, die für sich einen Wahrheitsanspruch geltend machen? Und es muß ergänzt werden, ob nicht jedes Denken notwendig so, indem es etwas als wahr aussagt, so etwas anderes als nicht wahr diskredetiert. So schließt ja auch die spezifisch postmoderne Skepsis gegen die großen Metaerzählungen als Legitimierungen der Erkennbarkeit von Wahrheit den Wahrheitsanspruch solcher Metaerzählungen aus.25

Die These lautet schlicht, daß die Aussage, daß Wahrheitsansprüche konfliktträchtig sind und daß um des Friedens willen deshalb solche Wahrheitsansprüche nicht zu erheben sind, selbst eine Aussage ist, die für sich einen Wahrheitsanspruch erhebt und somit selbst verifiziert, daß selbst die Verneinung von Wahrheitsansprüchen selbst ein Wahrheitsanspruch ist. Auch das Urteil der Unerkennbarkeit der Wahrheit ist ein wahrheitsbeanspruchender Satz. Alle postmodernen Theorien über die Nichterkennbarkeit von etwas Objektivem sind selbst wahrheitsbeanspruchende Theorien.
E. Hirsch hat dies mustergültig an seiner Kritik eines geistigen Väters der Postmoderne, nämlich Nietzsche vorgeführt. Nietzsche wird wie folgt zitiert: „In irgendeinem ablegenen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Tiere das Erkennen erfanden. Es war die hochmütigste und verlogenste Minute der Weltgeschichte, aber doch nur eine Minute. Nach wenigen Atemzügen der Natur erstarrte das Gestirn und die klugen Tiere mußten sterben.“ 26 Der Mensch, der glaubt, erkennen zu können, verfehlt sich, indem er dieses Vermögen zur Lebenserhaltung als Befähigung zu einer Erkenntnis von Wahrheit mißversteht.

Hirsch fragt nun aber an: Was tut Nietzsche, wenn er uns diese Fabel vom klugen Tier erzählt? „Will er uns ein Märlein erzählen? Nein. Er hat gedacht und dabei in seinem Geist eine bittere Wahrheit geschaut und von dieser Wahrheit will er uns durch seine Geschichte überzeugen. Was tut er aber, wenn er so denkt und Gedanken ausspricht? Er schwebt frei von allen Dingen, überfliegt mit seinem Blick das ganze Weltall samt all seinen Sonnen, darunter auch jenen kleinen Stern im Winkel, wo die Menschentiere hausen,und streift ahnend durch alle Ewigkeiten, in ihnen auch jene Minute findend, in der die Menschentiere ihre ganze Geschichte abmachen. Wir fragen ihn: Wer bist du denn, du wundersames Wesen, dem solch ein überirdisches Schauspiel vorgespielt wird?“27 Dieser Selbstwiderspruch ist nicht nur konstitutiv für Nietzsches Erkenntniskritik sondern auch für den Status postmodernen Denkens. Dies Denken selbst steht außerhalb der beurteilten Denk-systeme, die als Denksysteme nicht objektive Wirklichkeiten zum Erkennen freigeben ganz im Gegensatz zum alles Durchschauendem des postmodernen Denkens. Wenn Verweyen urteilt: „Ausgangspunkt dieses Buches war die bedrückende Feststellung, dieAnlaß der Enzyklika: „Fides et ratio“ ist: die heute vorherrschende Philosophie sieht sich außerstande, Aussagen von letzt-gültiger Tragweite zu machen“,28 evoziert dies sofort die Rückfrage, ob dabei nicht die Aussage der Unmöglichkeit von Aussagen von letztgültiger Tragweite selbst eine Aussage mit dem Wahrheits-anspruch letztgültiger Tragweite ist.

Wenn also jedes Denken, weil es Denken ist, nicht auf Wahrheitsansprüche verzichten kann, dann kann dies das theologische Denken auch nicht. Es gehört konstitutiv zu jeder Religion, einen Wahrheitsanspruch zu erheben und zu jeder universalen, einen Allgemeingültigkeitsanspruch zu erheben. Daß aus wechselseitig sich widersprechenden Wahrheitsansprüchen Konflikte sich generieren, das ist aber eine unbestreitbare Wahrheit. Auch das postmoderne Denken evoziert Konflikte mit modernen sich zur Wahrheitsfindúng befähigt sehenden Theorien des Denkens.
Jede rein negative Theologie, die ihren krönenden Abschluß in der These der prinzipiellen Nichterkennbarkeit des Wahren findet, provoziert den unausweichlichen Konflikt mit der Position der Erkennbarkeit der Wahrheit.

Es muß deshalb auch katholischer Sicht darum gehen, humanverträgliche Formen des Umganges mit aus sich wechselseitig widersprechenden Wahrheitsansprüchen ergebenden Konflikten zu finden und zu gestalten, nicht aber irenisch utopistisch den Konfliktcharakter zu verleugnen.
Das heißt für das notwendige Gespräch der Theologie mit der postmodernen Philosophie, daß hier im Wissen um die Konfliktträchtigkeit das wissenschaftliche Gespräch zu führen ist, denn die Theologie kann von jedem Denken, das als Denken auf die Hervorbringung wahrer Sätze ausgerichtet ist, zum eigenen Nutzen nur dazulernen. Und hier warten auf die zeitgenössische Theologie noch große Aufgaben. Um der Wahrheit willen muß mit dem zeitgenössischen Denken das Gespräch geführt werden. Versäumt sie diese Aufgabe, entsteht die Gefahr der Dominanz einer nur noch historisierenden Selbstbetrachtung der Theologie, weil der lebendige Kontakt zur postmodernen Gegenwart verloren geht.

1Kunze, K., Mut zur Freiheit- Ruf zur Ordnung. Politische Philosophie auf dem schmalen Grat zwischen Fundamentalismus und Nihilismus 1995 S.144.
2Kunze, K.; Mut zur Freiheit S.219.
3Vgl: Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften § 19 Zusatz 1 und: Vorlesungen über die Philosophie der Religion.
4Vgl: Schmitt, C., Der Begriff des Politischen . Die Unterscheidung von Freund und Feind als Kriterium des
Politischen 1932.
5Nietzsche, Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre , Friedrich Nietzsche Werke IV Hrsgb: Schlechta 6.Auflage
1969 Nachdruck 1984 S.764.
6Vgl: Verweyen, H., Theologie im Zeichen der schwachen Vernunft, 2000 S.53-60.
7Vgl: Safranski, Wieviel Wahrheit braucht der Mensch? 1993 S.200ff.
8Kunze S.83.
9Kunze S.8.
10Kunze S.83.
11Kunze S.19.
12Vgl. Kunze, S.85.
13Kunze S.20.
14Selbstverständlich kann Kunzes Ansatz nicht einfach der Postmoderne zugerechnet werden, denn sein starker
Personenbegriff als das Subjekt rein dezionistischen Entscheidesns in Anknüpfung an Ockhams Freiheitsverständnis
ist nicht der postmodernen Philosophie zurechenbar. Vgl etwa: Foucault, M., Die Ordnung der Dinge 9. und 10. Kapitel, Der Mensch und sein Doppel, Die Humanwissenschaften 1966.
15Kunze S.105.
16„Drei große Ausschließungssysteme treffen den Diskurs: das verbotene Wort; die Ausgrenzung des Wahnsinns, der
Wille zur Wahrheit“, Foucault, M.; Die Ordnung des Diskurses 9.Auflage 2003 S.16. Treffen meint hier, den Diskurs durch das Ausschließen von zu einem bestimmten Diskurs konstituieren.
17Foucault, M.; Die Ordnung des Diskurses 9.Auflage 2003 S.13.
18Kunze S.92.
19Sloterdijk, P. ,Heinrich, H.-H., Die Sonne und der Tod 2001 S.33.
20Syberberg, H.J., Vom Unglück und Glück der Kunst in Deutschland nach dem letzten Kriege, 1990 S.40.
21Lyotard, Das postmoderne Wissen 1986 S.24.
22Kreiner, A., Das wahre Antlitz Gottes 2006 S.130-140.
23Kreiner, A. Das wahre Antlitz Gottes S.131.
24Kreiner,A, Das wahre Antlitz Gottes S.132.
25Vgl: Lyotard, Das postmoderne Wissen Kapitel 9. Die Erzählungen von der Legitimierung des Wissens, 1986 S.96- 111.
26Hirsch,E. Deutschlands Schicksal 3.Auflage 1925 S.9.
27Hirsch,E. Schicksal S.12.

28Verweyen, H._H., Theologie im Zeichen der schwachen Vernunft, 2000 S.47.

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